Seit mehr als vier Wochen werden wir einem medialen Trommelfeuer – um in der Rhetorik des Krieges zu sprechen – ausgesetzt, welches jedwedes Nachdenken, Abwägen, das Suchen von Lösungen, das eigenständige Beurteilen dieses ungeheuerlichen Geschehens in der Ukraine zu verhindern sucht. Eine moralische Keule, die meiner Meinung nach ganz und gar nicht auf einer Moral also unseren Sitten und Werten beruht, fährt auf all die hernieder, die versuchen die Möglichkeit eines wieder respektvollen Miteinanders oder auch nur Nebeneinanders - auch mit einem Aggressor - zu artikulieren. Welche Werte werden da vertreten, wenn Friedensdemonstranten im harmlosesten Fall als naiv, im schlimmsten Fall gar als „Fünfte Kolonne“ bezeichnet werden? Meine sind es nicht. Meine Werte sind nicht Rache, Vergeltung, Vernichtung, Hass, Demütigung, Verunglimpfung im Umgang mit Widersachern oder gegenüber auch Menschen, die sich nicht dieser Massenhysterie anschließen wollen.
Und Nein, es war eben aus meiner Sicht nicht unverantwortlich, Handel zu betreiben und sich um Verständigung zu bemühen, denn nur, wer im Gespräch bleibt kann auch Einfluss nehmen. Niemand muss sich dafür entschuldigen. Die Idee der handeltreibenden Koexistenz und des kulturellen Austausches hat uns ganz nebenbei einige Jahrzehnte des Friedens beschert. Auch die Wiedervereinigung unseres Landes wäre ohne die versöhnenden Gesten eines Willy Brand oder einer Verständigungspolitik Gorbatschows nicht möglich gewesen. Gerhard Schröder, nun verfemt, hatte sich 2002 nicht der damaligen „Koalition der Willigen“ angeschlossen und sich (und uns) damit nicht mitschuldig gemacht an einem Angriffskrieg, der Hunderttausenden das Leben kostete und ein ganzes Land in Trümmern legte.
Tatsächlich muss man sich fragen, ob uns unser derzeitiges Verhalten nicht in große Gefahr bringt, wieder in einen Krieg verwickelt zu werden, den wir (wieder) nicht gewinnen könnten. Deutschland wird gerade in eine Lage gedrängt, die uns nicht guttut: von außen, indem an unsere angebliche besondere Verantwortung appelliert wird. Von innen, weil sich, wie schon im Kosovo-Krieg, in Afghanistan oder im Jemen Politiker und Politikerinnen allzu willfährig instrumentalisieren lassen und ein Übel aus der Welt schaffen wollen, welches sie möglicherweise auch selbst durch ihr politisches Handeln im Vorfeld erzeugt haben. Haben sie ihren Eid vergessen, Schaden vom Deutschen Volk abzuwenden?
Ich versuche diese hochgefährliche Lage einmal herunterzubrechen auf eine Situation, die ich als Lehrerin und Leiterin einer Schule oft erlebt habe: Ein wütendes, aggressives Kind geht mit großer Gewalt und augenscheinlich ohne Grund auf ein anderes los und verletzt es. Besonnene Lehrer und Lehrerinnen, aber auch über Jahre hervorragend ausgebildete jugendliche Streitschlichter würden sich einbringen, um die Lage zu beruhigen. Es würde sofort deeskalierend eingegriffen werden. Niemand käme auf den Gedanken, die anderen Kinder auf dem Schulhof aufzufordern, dem verletzten Kind einen (noch größeren) Prügel oder ein Messer in die Hand geben, damit es sich besser wehren kann. Vielmehr wäre es entscheidend, die Ursachen des Konfliktes herauszufinden, um eine weitere Eskalation zu verhindern und eine Lösung zu suchen. Die Ursachen können sich dabei als sehr unterschiedlich herausstellen. Sie reichen von vorhergegangenen Provokationen und Demütigungen über Auseinandersetzungen wegen Eigentums bis hin zu schulischen oder familiären Problemen. Erst, wenn das eigentliche Problem erkannt ist, müssen Vereinbarungen getroffen, Regelungen gefunden, auch gegebenenfalls Sanktionen eingeleitet werden. Aber: Das Ziel wäre nie die „Vernichtung“ des Aggressors, sondern die Wiedereingliederung in die schulische Gemeinschaft. Tausendfach wird an unseren Schulen dieses Prinzip vorgelebt und eingeübt.
Was leben wir jetzt unseren Kindern vor?
Margarete Richter