Stabbrandbomben, Spreng- und Brandbomben zerstörten 1944 über 60 Prozent
der Bausubstanz Stuttgarts. Die Eltern meiner Mutter sowie ihr Verlobter,
viele ihrer Verwandten, Freunde und Bekannten verbrannten bei lebendigem
Leibe oder starben einen qualvollen Erstickungstod. Meine Großeltern, und
die anderen Getöteten, Schwerverletzten und Verletzten, waren größtenteils
Zivilisten, genau wie viele der Kriegsopfer in der Ukraine. Die 80.
Jahrestage der Ermordnung von Zivilisten und der Zerstörung deutscher
Städte sind genau jetzt, im Jahr 2024.
Die Taktik der Tötung der Zivilbevölkerung hat auch das Hitler-Regime
angewandt - die Vergeltungen folgte auf den Fuß.
"In meiner Erinnerung war Darmstadt eine rosafarbene Stadt" ... "weil es im
Stadtkern keine kriegswichtigen Fabriken gab, war er nicht verteidigt
worden. Dennoch wurde die Stadt einmal mit einem klassischen Bombenteppich
überzogen" ... "Mehr als die Hälfter der 8400 Wohnungen (im Zentrum) wurden
zerstört. Das war am 11. September 1944" ... "In diesen Minuten wurden 8433
Menschen sofort getötet oder verbrannten, 2439 wurden schwer verletzt" ...
"Augenzeugen berichteten uns, wie in der ungeheuren Hitze die Körper
erwachsener Menschen zuerst braun wurden und dann im Bruchteil einer
Sekunde auf die Größe eines Babys schrumpften." Nachzulesen im Buch "Die
unsichtbaren Trümmer", von James Stern (The Hidden Damage, Chelsea Press
Ltd, London 1990; deutsche Publikation: Eichborn Verlag, Frankfurt a.M.,
2004).
Einen Tag nach der Zerstörung Darmstadts, am Dienstag, dem 12. September
1944, fand der schwerste Bombenangriff auf Stuttgart statt, bei dem unter
anderem meine Großeltern Opfer von Brandbomben wurden.
Das sogenannte "Ehrenfeld der Fliegeropfer" - auf dem Stuttgarter
Hauptfriedhof - ist in einem desolaten Zustand. Genauso scheint es um die
Erinnerung unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger zu stehen. Die Mahnmale für
die Auswirkungen von Kriegen sind zumindest verblasst, die Folgen des II.
Weltkriegs scheinen ganz vergessen. Die Bürger von Dresden, die es kurz vor
Ende des Krieges ganz besonders schwer getroffen hat, könnten eine
besondere Erinnerungskultur pflegen, die vor den furchtbaren Folgen eines
Krieges warnt. Wäre es nicht wünschenswert, den Sozialverband VdK, den
Verband der Kriegs- und Wehrdienstopfer und Sozialrentner Deutschland e.V.
- mit zwei Millionen Mitgliedern der größte Verband seiner Art - an eine
seiner ursprünglichen Aufgaben zu erinnern?
Inwiefern kann ein Krieg mit einer Atommacht, wie zum Beispiel Russland,
jemals gewonnen werden? Kriegswaffen- und Militärgeräte-Hersteller sind die
Profiteure, sind das keine Mordgesellen?
Die Kursgewinne der Kriegstreiber klettern und klettern, genau wie die
Zahlen der Kriegsopfer auf den jeweiligen Seiten - wie human ist das? Wird
dieselbe Energie in das Verhandeln für Frieden gesteckt wie in die
Finanzierung der Produktion von Militärprodukten und Kriegswaffen? Wie
irrsinnig ist das ganze Säbelgerassel angesichts der Atomwaffen? Wollt ihr
den totalen Krieg? Wann wollen wir uns gegen den Irrsinn wehren, wenn nicht
jetzt?
Jörg Stimpfig