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Abbiegeunfälle mit Radfahrern – ein Fluch des ungebremsten Wachstums

Wenn sie sich begegnen, kann es lebensgefährlich werden, das beweist wieder einmal der Tod einer Radfahrerin vor einigen Tagen in Berlin am Kottbuser Tor. Die Ursache: Ein LKW Fahrer hat die Frau übersehen, als er rechts abbiegen wollte. Aus eigener Erfahrung; ich habe von 1989 bis 1994 einen MAN Gliederzug (LKW mit Anhänger)  gefahren und war in der neuen großen Bundesrepublik unterwegs. Seinerzeit war die Schar der Radfahrer in den Großstädten noch überschaubar und auch die Flotte der Vierzigtonner war lange nicht in dem Umfang in deutschen Metropolen anzutreffen, wie es heute alltäglich ist. Ich fuhr einen Kühlzug, mit dem ich ausschließlich Molkereiprodukte transportierte. Fünf Jahre war ich auf Achse, auch an den Wochenenden, kannte fast jede deutsche Großstadt und bin wohl hunderte –ja vielleicht tausend Mal sowohl links als auch rechts abgebogen. Nie in den Innenstädten, soweit hat man uns nicht hinein gelassen. Es entstand nie eine brenzlige Situation. Radfahrer/innen waren stets sehr wachsam, suchten SEHR häufig den Augenkontakt und näherten sich  - ebenso wie ich mich, der Kreuzung.

Heute – knapp 30 Jahre später ergibt sich ein völlig verändertes, verstörendes Bild: 1. Die Anzahl der Fahrradfahrer/innen hat sich vervielfacht,  2. Blickkontakt wird vermieden, 3. die Kreuzung muss in rasanter Fahrt (auch bei roter Ampel) passiert werden, 4. die ersten Fahrräder stehen bereits im Wartemodus zur Hälfte auf der Fahrbahn, über die in wenigen Augenblicken die rechten Räder des abbiegenden Lasters rollen werden…. Ich beobachte immer wieder Brummifahrer beim rechts abbiegen, sehe wie sie sich verrenken, um in alle Spiegel und auf den Fahrradweg schauen zu können. Man kann ihre Anspannung sehen, fühlen, so sehr steht sie ihnen ins Gesicht geschrieben. Es  sind alte Hasen darunter, die sicher schon viele Jahre Erfahrung auf ihrem Bock gesammelt haben – und dann stehen sie in Berlin an einer Kreuzung und trauen sich nicht abzubiegen, weil der Strom der Fahrräder nicht abreißt und einige Haudegen in quietschbuntem, hautengen Ninja Warrior Dress dermaßen angeflogen kommen, ( mit grimmigem, starr geradeaus gerichteten Blick) so dass jeder Abbiegeassistent überfordert wäre .Sie sind wahre Krieger und fahren, als ob sie in einer virtuellen Welt unzerstörbar unterwegs wären. Manchmal; der Radweg ist eben noch frei; blitzt es im Augenwinkel kurz und bunt auf und wird zu einem von dannen sausenden – Radfahrer…. Es dauert einen Augenblick, bis der Schock verflogen ist.

Nun aber zur Überschrift: Vor dreißig Jahren war der Anteil der Vierzigtonner in den Innenstädten ebenso wie der der Fahrräder noch sehr  gut überschaubar. Heute passiert es mir im Bereich Schlichtallee, Lückstraße und Weitlingstraße, (im Berliner Stadtteil Lichtenberg) dass zwei bis drei riesige Muldenkipper vor mir, ein Tanklastzug hinter  mir her fahren, mir ein Tieflader mit Baumaterial begegnet. Und das nahezu täglich. Es sind morgens und nachmittags nur Momentaufnahmen – wie viele große Lastzüge mögen es wohl über den Tag verteilt sein. Sicher, der Bauboom braucht Nachschub, Discounter und Heizstätten wollen beliefert sein. Damit der Transportaufwand im Verhältnis zur Menge günstig ausfällt, werden immer weniger Großlager mit großen LKW angefahren, um dann das Transportgut auf kleinere LKW zu verteilen, die dann zum Abnehmer fahren. Nein – die dicken Brummer fahren bis in den entlegensten Winkel einer Stadt und zerstören stetig Straßenbeläge, rütteln an der Statik sowieso schon maroder Brücken, bringen Häuser zum Vibrieren, hemmen den Verkehrsfluss und nicht zuletzt treiben sie den Fahren den Angstschweiß auf die Stirn, wenn sie rechts um die Ecke müssen.

Was um Himmels willen haben diese Unmengen von Vierzigtonnern in den auch so schon proppenvollen Innenstädten zu suchen? Die Anzahl der (flüsternden Riesen), wie sie oft mit liebevoll verklärtem Blick von ihren Erbauern genannt werden, hat im letzten Jahrzehnt derart zugenommen und ein rückläufiger Trend zeichnet sich nicht ab, im Gegenteil. Mit einem großen LKW kann ich große Mengen/Massen transportieren, halte die Transportkosten niedrig und maximiere meinen Gewinn.

Das ist die Herangehensweise der Verantwortlichen.

Die klappernden Gläser in der Vitrine, den zerbröselnden, sich absenkenden Straßenbelag, die Risse in Fassaden, im Mauerwerk, die heillos überlasteten schwankenden, ächzenden Brücken – was solls – nicht unser Problem. Die unzähligen Bahntrassen, seinerzeit genutzt als Aus`- und Anlieferungslinien für große Transporte in die Städte und Firmen und aus ihnen heraus, wurden, jedenfalls im Osten der Republik rigoros entfernt und der Siegeszug der Brummis begann.

So fatal und traurig es sich lesen mag; es wird weiter tote Radfahrer/innen durch abbiegende LKW geben, das wird auch nur in geringem Maße ein noch so smarter Abbiegeassistent verhindern. Das Risiko wird für einen Fahrer eines großen LKW sogar noch anwachsen, wenn, wie es angestrebt wird, die Zahl der Radler/innen sich potenziert.

Ich möchte nicht auf so einem dicken Bock sitzen und damit durch Berlin, Stuttgart, Köln oder Leipzig, Dresden, Cottbus fahren müssen. Schon allein deshalb würde ich meinen Arbeitsvertrag kündigen, um nicht FAHRLÄSSIG eine Radfahrer/in zu töten, nachdem ich unter Umständen in 30 Jahren 20 Millionen KM unfallfrei die Autobahnen und Fernstraßen Europas oder auch nur Deutschlands befahren habe.

Dorthin – und nur dorthin gehören die Vierzigtonner – und nicht in die Schlichtallee im trauten Lichtenberger Kiez mittenmang in Berlin.

Mit freundlichem Gruß

Joachim Zieseler

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