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Psychoterror – eine Erfindung der Presse?
Auch ich bin überzeugt, dass es erlaubt ist, die fehlenden Reformen in der Psychiatrie als Politikversagen zu beschreiben. Der Komplexität und dem Umfang des Themas wird die Autorin allerdings nicht gerecht, wenn sie übertreibt und „von einer regelrechten Katastrophe auf den Straßen“ spricht. Und mit ihrer Behauptung wonach „von der Öffentlichkeit unbemerkt eine linke Anti-Psychiatrie-Politik“ dafür verantwortlich sein soll, liegt sie voll daneben. Richtig ist jedoch, dass sich die Öffentlichkeit – und damit auch der Journalismus – zu wenig mit Problemen befasst haben, die die Lebenswirklichkeit von Betroffenen und Angehörigen bestimmen.
Die Behauptung, wonach schwere Gewalt von Psychotikern explodiert ist vollkommen aus der Luft gegriffen. Wer eine solche schwerwiegenden Vorwurf erhebt, der sollte Statistiken oder Schätzungen von Experten vorlegen können, was schon daran scheitert, dass es solche spezifischen Daten gar nicht gibt.
Wenn eine Handlung unser Fassungsvermögen sprengt, ist unsere erste Reaktion häufig: Das ist nicht normal! Das kann nur die Tat eines psychisch Kranken, eines Geisteskranken sein! Von einem verantwortungsbewussten Medium darf man allerdings erwarten, dass es nicht mit fahrlässigen Behauptungen die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen steigert.
Die überwiegende Mehrheit der Menschen mit Schizophrenie begeht keine Gewalttaten. Studien legen nahe, dass das Risiko für Gewalt bei Menschen mit Schizophrenie im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung nicht signifikant höher ist. In der Regel wird die Erkrankung nicht durch gewalttätiges Verhalten charakterisiert, und die meisten Menschen mit Schizophrenie sind nicht kriminell.
Viel häufiger werden psychisch Kranke zum Opfer. Wie vor Kurzem ebenfalls eine schwedische Studie im British Medical Journal gezeigt hat, fallen sie angeblich fünfmal so häufig einem Mord zum Opfer wie andere Personen.
Wieso nun auch noch eine linke Politik für unterlassene Psychiatriereformen in den letzten Jahrzehnten verantwortlich sein soll, kann nur jemand glauben, der nicht verstanden hat, dass die Anti-Psychiatrie-Bewegung in den 1960er und 1970er Jahren ihre Blütezeit hatte und die bis dahin traditionelle Psychiatrie und die institutionelle Unterbringung von Patienten kritisierte. Doch das ist schon ein halbes Jahrhundert her. Seitdem hat sich die Gesellschaft dem Wandel des Zeitgeistes folgend kaum mehr kontrovers mit dem Leid von Betroffenen und Angehörigen befasst.
Ich sehe es als eine Herausforderung an die Medien und an die Politik, die Psychiatrie nicht nur bei spektakulären Kriminalfällen zu thematisieren, sondern auch die unzureichenden Hilfen für Erkrankte und Angehörige sowie die Vermeidung von Obdachlosigkeit und Kriminalität zu fördern.
Da dies zu wenig geschieht, möchte ich in weiteren Artikeln konkreten Reformbedarf nennen und auf positive – oft jahrelang verschleppte - Lösungsansätze hinweisen.
Ambulante Krisenintervention nach dem Konzept von Dr. Volkmar Aderhold, Universität Greifswald mit dem erweiterten Ziel auch Menschen zu helfen, die zu keiner Krankheitseinsicht fähig sind
Neue ethische Regeln zur Notwendigkeit der Anwendung von Zwang mit Bezug zur gescheiterten Ethik-Fachtagung in Zwiefalten
Schwächen im psychiatrisch-juristischen System, u.a. Kommunikation mit Angehörigen in prekären Familienverhältnissen
Kritik zum Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz in Baden-Württemberg -fehlende Anknüpfung an die Impulse der Bürgerrechtsbewegung vor 50 Jahren
Psychoterror – eine Erfindung der Presse?
- von Günther Kirchner
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