„Krieg im Gazastreifen“ v. 22. 12. S. 2
Die Berichterstattung der SZ zum NO-Konflikt scheint mir eines Blattes mit dem Anspruch der SZ unwürdig. Der Kern des Problems ist die – auch von der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ kurz nach Ausbruch des letzten Massakers im Gazastreifen beklagte – „Kontextlosigkeit“ der Berichterstattung gerade auch unserer „Leitmedien“. Und dieser Kontext ist die völkerrechtswidrige brutale Besatzungspolitik Israels, hier die Blockade des Gazastreifens mit ihren grauenhaften Folgen für die Bevölkerung, deren Stimmung der in Gaza lebende Menschenrechtsanwalt Raji Sourani, der als erster Palästinenser mit dem „alternativen Nobelpreis“ ausgezeichnet wurde, auf dem Höhepunkt der israelischen Invasion so zum Ausdruck brachte: „Lieber sofort sterben als langsam vom Folterer erdrosselt zu werden.“
Im gängigen Narrativ aber – leider auch in der SZ - ist Israel stets das Opfer und „antwortet“ nur auf die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen. Daß Israel den Waffenstillstand vom 26. 8. fast täglich bricht, erfährt der SZ-Leser nicht. Um das zu wissen, muß man allerdings auch auf die Veröffentlichungen von Amnesty International, Human Rights Watch, etlicher v. a. israelischer NGOs, der UNO, des Roten Kreuzes und auch der israelischen Zeitung Ha’aretz etwa, zurückgreifen, die darüber hinaus deutlich machen, dass sich seit dem 26. 8. so gut wie nichts geändert hat an der verzweifelten Lage der Menschen in Gaza, die eher schlimmer geworden ist, obwohl doch die übereinstimmende Ansicht der meisten beteiligten Akteure – gleichzeitig war dies die Waffenstillstandsbedingung der Palästinenser - ganz eindeutig war: ohne ein Ende der Belagerung des Küstenstreifens kann es keine Ruhe, keinen Frieden geben.
Im Kern übernimmt der SZ-Korrespondent eher die Sichtweise der israelischen Regierung, in der die Dämonisierung der Hamas einen zentralen Stellenwert einnimmt. So glaubt sie, die eigenen Völkerrechtsbrüche rechtfertigen zu können, denn gegen den „Terror“ ist schließlich jedes Mittel recht. Dabei bleibt systematisch außer Acht, dass die „islamistische Terrororganisation“ gemäß dem Völkerrecht nicht nur das Recht auf Widerstand gegen die Besatzung hat, sondern auch die mit überwältigender Mehrheit frei gewählte Regierung der besetzten Gebiete – nicht allein des Gazastreifens! – ist. Darüber hinaus hat sie sich längst und wiederholt von ihrer zur Zerstörung Israels aufrufenden Charta distanziert. Eine inhaltlich ähnliche Passage in der Charta der Fatah hat übrigens in den 90er Jahren Yitzhak Rabin nicht daran gehindert, mit der damaligen „Terrorgruppe“ in Verhandlungen einzutreten. Jedenfalls ist in etlichen Interviews führender Hamas-Vertreter sowie im Wahlprogramm der Hamas und dann auch im Regierungsprogramm von 2006 sogar die zumindest indirekte Anerkennung Israels in der Bereitschaft dokumentiert, sich mit einem palästinensischen Staat in den besetzten Gebieten zufrieden zu geben, was eine an Selbstaufgabe grenzende Kompromissbereitschaft darstellt, die auch Voraussetzung der von Israel so gefürchteten und womöglich bereits wieder zerstörten Einheitsregierung der Palästinenser war.
Das fortdauernde Elend in Gaza ist nach hiesigem Verständnis selbstverständlich gleichfalls Schuld der Hamas, weil Israel etwa den dringend benötigten Zement zum Wiederaufbau des weitflächig verwüsteten Küstenstreifens ja nicht hineinlassen kann, denn der könnte schließlich zum Tunnelbau verwendet werden.
Trotz gelegentlicher durchaus scharfer Kritik des Nahost-Korrespondenten Peter Münch an Israels Politik – letztendlich ist es der „radikal-islamistische Terror“, der dem Frieden angeblich im Wege steht.
Unberücksichtigt bleibt in dieser tendenziösen Berichterstattung allerdings, dass Israel die Wirtschaft Gazas systematisch zerstört, indem es z. B. nur noch 2 Lastwagen mit palästinensischen Exportgütern pro Woche passieren lässt (vor der Belagerung waren es 240) oder die Bewirtschaftung des fruchtbaren Grenzstreifens zu Israel unmöglich macht, der unter fast täglichem Beschuß liegt (im letzten Monat wurde dabei ein Zivilist erschossen, ein 17-Jähriger schwer verwundet), ganz abgesehen davon , dass die Fischer - wiederum völkerrechtswidrig - nur noch 6 Meilen weit ins fast leergefischte Meer dürfen und selbst dort stets Gefahr laufen, von der israelischen Marine beschossen zu werden.
Von diesem Dauerterror des israelischen Militärs erfährt man so gut wie nichts in der SZ. Die Raketen aus Gaza sind also eher Reaktion auf das Elend und die entwürdigende Barbarei der Besatzung, worauf nicht nur Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter (in der Washington Post schon am 8. Jan. 2009) aufmerksam gemacht hat.
In dieser Situation von „Provokationen der Palästinenser“ zu sprechen, erstaunt dann allerdings den frustrierten SZ-Leser kaum mehr, denn den „Terroristen“ ist ja ohnehin alles zuzutrauen, auch ein weiterer Krieg – so Peter Münch - zur „Ablenkung von ihrem Versagen“, damit sich die Menschen „wieder um sie scharen“ – so geht dieser zynische Diskurs, der der Hamas projektiv „zynisches Kalkül“ unterstellt.
Es ist eher anzunehmen, daß die Palästinenser ziemlich genau wissen, wem sie ihre miserable Lage zu verdanken haben - und das dürfte in ihren Augen ganz gewiß nicht die Hamas sein. Auch ist ihnen sicher nicht verborgen geblieben, dass Wahlkampf in Israel herrscht, eine Zeit, in der – darauf macht Peter Münch immerhin aufmerksam - die Regierenden stets „besondere Stärke demonstrieren wollen“. Ein Vorwand für ein weiteres Massaker an den Palästinensern wird sich beizeiten schon provozieren lassen.