Sehr geehrte Damen und Herren,
auch über Argentinien hinaus ist Präsident Javier Milei zur Symbolfigur
geworden im Ringen um die Rolle des Staates in der Wirtschaft.
In den USA hofiert ihn Donald Trump. Elon Musk nennt "den Mann mit der
Kettensäge" sein Vorbild.
In Deutschland wagte FDP-Chef Lindner den tastenden Rat: „Ich finde, wir
sollten in Deutschland ein kleines bisschen mehr Milei wagen“.
Nicht nur für den Kanzlerkandidaten der Union, Friedrich Merz, der sich
ansonsten "nicht täglich mit Argentinien", sondern sich seit Neuesten
offensichtlich viel mehr mit den Grünen als künftigen Koalitionspartner der
Union beschäftigt, bereits ein Tabubruch.
Wer ist dieser Javier Milei, der im kommenden Bundeswahlkampf durchaus eine
Rolle spielen könnte?
Denn viele Menschen empfinden die Rolle des Staates hierzulande
mittlerweile in vielen persönlichen Bereichen als übergriffig.
Und die völlig aufgeblähte staatliche Bürokratie verhindert Wachstum und
vernichtet Existenzen.
Ein "Weiter so" kann und darf es in Deutschland nach 16 Jahren Merkel und 3
Jahren Ampelregierung nicht geben,
um das Land zum Einen vor dem wirtschaftlichen Absturz zu bewahren und es
zum Anderen radikalen politischen Kräften nicht vollends auszuliefern.
Der exzentrische Politiker Milei hatte die Wahl auch mit der Ankündigung
gewonnen, den aufgeblähten Staat radikal zurückzuschneiden.
Milei hat Ernst gemacht.
Die Argentinier haben genau die harten Reformen bekommen, die eine Mehrheit
gewählt hat.
In seinem Land ist Milei beliebter - und bei den Linken und Sozialisten
gleichzeitig verhasster denn je.
Millionen Menschen gehen gegen seine Politik auf die Straße.
Aber noch mehr Millionen würden ihn derzeit wohl wiederwählen.
Dabei passt Milei schlecht in Schablonen.
Mit seinem Eintreten für Freihandel und einen sparsamen Staat stehe Milei
im Gegensatz zum Trumps unsäglicher Zoll-Besessenheit
und den Schulden dessen ersten Amtszeit.
Mileis Verachtung für den Staat, der sich überall einmischt und die
Freiheit einschränkt, ist seinen eigenen Worten zufolge unendlich.
Argentinien ist die drittgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas.
Das Land war einmal reich, auch nach dem Einkommen der Menschen.
Doch Argentinien ist das einzige Land der modernen Wirtschaftsgeschichte,
das aus dem Kreis der reichen Länder abgestiegen ist.
Die Gründe liegen in jahrzehntelangen wirtschaftlichen Experimenten, dem
Hang zu Extremen, politischer Unsicherheit, Umstürzen.
Vor allem aber an einem aufgeblähten
Begünstigungsstaat.
Zu den wenigen Konstanten in Argentiniens Politik gehörte es, Probleme
stets mit viele Geld zu verdecken.
Wenn es keines mehr gab, wurde neues gedruckt.
Argentiniens Niedergang wurde begleitet von Hyperinflation, Währungsverfall
und Staatsbankrotten.
Anfängliche Parallelen zu Deutschland sind unverkennbar, wo man spätestens
seit Merkel versucht, Probleme mit immer mehr Geld zu kaschieren.
Milei hat eine Radikalkur in drei Phasen angekündigt: Schock,
Stabilisierung, Wachstum.
Bisher hat er davon nur den Schock geliefert.
Milei hat die Staatsausgaben im Eiltempo um 30 Prozent gesenkt. Er hat
Vorhaben für Infrastruktur gestoppt, auch viele Programme für Bildung.
Im Staats-/Beamtenapparat hat er 30.000 Stellen gestrichen. Er hat
Pensionen nur unterhalb der Inflationsrate erhöht und
bestimmte soziale Subventionen gekappt.
Jetzt, ein Jahr später, soll Phase zwei beginnen, die Stabilisierung. Auf
erste Erfolge kann Milei bereits aufbauen.
Argentinien war über Jahre das Land mit der höchsten Inflation weltweit.
Bei Mileis Antritt lag die Teuerung über 250 Prozent im Jahr.
Jetzt ist die Inflation auf immerhin drei Prozent pro Monat gefallen.
Die Preise sind somit wieder berechenbarer geworden. Das Vertrauen kehrt
zurück.
Mileis radikale Maßnahmen haben den Haushalt schnell ins Plus gedreht.
Argentinien erzielt einen Haushaltsüberschuss.
Auch das steigert Vertrauen, zumal bei Investoren und den für das hoch
verschuldete Land so wichtigen Kreditgebern.
Der Risikoaufschlag, den Argentinien zahlen muss, wenn es sich Geld leiht,
ist deutlich gesunken.
Im Außenhandel erwirtschaftet Argentinien wieder einen Überschuss. Es
exportiert auch wieder mehr Energie als es importiert.
Die Konjunktur Argentiniens dreht.
Im dritten Quartal 2024 wuchs das BIP wieder. Für 2025 trauen
Wirtschaftsexperten Argentinien ein Wachstum von bis zu 4,4 % zu.
Wachstumsraten, von denen das "wohlstandsverwöhnte" Deutschland derzeit nur
träumen kann.
Gelingen Milei jetzt die Phasen zwei und drei, also Stabilisierung und
Wachstum?
Argentiniens Wirtschaft ist auch nach einem Jahr Milei noch hoch
reglementiert.
Handel und Kapitalverkehr mit dem Ausland sind noch immer stark beschränkt.
Der Wechselkurs des Peso wird staatlich bestimmt. Der Peso ist immer noch
deutlich überbewertet.
Milei hat angekündigt, die Fesseln nach und nach zu lösen.
Während Trump in einer Art Wahnvorstellung immer neue Zölle ankündigt
und Ökonomen vor steigenden Preisen in den USA warnen, hat Milei Importe
von Nahrungsmitteln erleichtert, um die wichtigen Preise zu stabilisieren.
Doch die Öffnung der Wirtschaft bleibt ein großes Risiko. Sollte der Peso
dadurch stark unter Druck geraten, könnte das die Inflation wieder anheizen.
Sollten Inflation, Arbeitslosigkeit und Armut gleichzeitig steigen, kann
Mileis aktuell große Popularität schnell leiden.
Das politische Risiko bleibt also hoch.
Das politische Experiment "Milei" steht auf der Kippe.
Im Dezember 2025 stehen in Argentinien wichtige Zwischenwahlen an.
Auf das erste Jahr des Schocks hatte Milei die Argentinier gut vorbereitet.
Nun verspricht er aber, für Argentinien würden jetzt die besten "100 Jahre
aller Zeiten" anbrechen.
Dieses Versprechen zu halten, wird ungleich schwerer.
Allein mit der Kettensäge wird Milei das nicht mehr gelingen.
Freundliche Grüße
Alfred Kastner