Sehr geehrte Redaktion,
der Artikel „November-Wetter machte klar: Deutschland betreibt Strom-Harakiri“ von Lothar Warscheid vom 15.11.2024 ist ein Paradebeispiel für die Verbreitung von irreführenden Narrativen über die Energiewende in Deutschland. Die Argumentation des Autors basiert auf kurzsichtigen Betrachtungen und lässt dabei die langfristigen Entwicklungen und aktuellen Fortschritte im Bereich der Erneuerbaren Energien komplett außer Acht.
Zunächst einmal wird in dem Artikel die Wetterlage im November als Beweis dafür angeführt, dass die Energiewende ein „gefährlicher Irrweg“ sei. Dies zeugt von einem grundlegenden Missverständnis der Funktionsweise eines diversifizierten Energiesystems. Tatsächlich befindet sich die Transformation des deutschen Stromnetzes in vollem Gange. Derzeit werden Netz-Großspeicher Anschlussprojekte mit einer Gesamtleistung von 161 Gigawatt bei den Übertragungsnetzbetreibern angefragt – das entspricht der Leistung von etwa zehn Kernkraftwerken. Speicher wie diese, heute bereits angefragten, werden viele Schwankungen bei der erneuerbaren Energieerzeugung ausgleichen können. Eine Entwicklung die so geplant ist, da erst ab einem Anteil von etwa 60-70 % erneuerbarer Energien im Netz, der Ausbau von Speichersystem wirtschaftlich sinnvoll ist. Bis dahin lohnen sich Investitionen in den weiteren Ausbau der EE und aktiver Steuerung, auch bei zeitweiser erforderlicher Fern-Abschaltung noch mehr. Diese wichtige Schwelle überschreiten wir in Deutschland nun erstmals.
Es ist irreführend und falsch, die aktuelle Nutzung fossiler Kraftwerke als Beweis für das Scheitern der Energiewende darzustellen. Der Übergang von fossilen Brennstoffen zu Erneuerbaren erfolgt schrittweise, und es ist bekannt, dass in Phasen des Übergangs noch auf konventionelle Kraftwerke zurückgegriffen wird, um die Netzstabilität zu gewährleisten. Dies wird sich jedoch ändern, da Investitionen in Batteriespeicher, Hochtemperatur-Wärmespeicher und Elektrolyseure für die Wasserstofferzeugung massiv vorangetrieben werden. Der europäische Strommarkt und die grenzüberschreitenden Übertragungsnetze bieten zudem zusätzliche Flexibilität, um Dunkelflauten zu überbrücken. Unsere Netze in Deutschland sind trotz Dunkelflaute stabil und ausfallsicher, wie wir gerade erleben.
Der Artikel von Herrn Warscheid verstärkt eine Angst vor Veränderung, die in der öffentlichen Debatte leider häufig zu beobachten ist. Anstatt die innovativen Lösungen sowie die Fähigkeiten deutscher Ingenieure anzuerkennen, die bereits heute in der Lage sind, saisonale und kurzfristige Schwankungen zu managen, wird ein alarmistisches Bild gezeichnet, das der Realität widerspricht. Genau diese Haltung der Mutlosigkeit ist es, die „Made in Germany“ in den letzten Jahren geschwächt hat.
Wir brauchen dringend einen sehr viel differenzierteren und faktenbasierten Journalismus, der die Chancen der Energiewende aufzeigt, anstatt für leichte Klicks und Zustimmung von deutschen Stammtisch, lediglich die altbekannte „German Angst“ zu bedienen. Der globale Boom von Wind- und Solarenergie zeigt, dass die Energiewende nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich ein Erfolgsmodell ist. Indem wir uns von fossil getriebenen Narrativen distanzieren und die Transformation aktiv gestalten, schaffen wir die Grundlage für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum, das vollständig von steigenden CO₂-Emissionen entkoppelt ist.
Mit freundlichen Grüßen,
Benjamin Mey