Die Vereinigten Staaten von Amerika, deren Sendungsbewusstsein ihnen gebietet, der ganzen Welt die Demokratie zu bringen, und, wo es daran noch fehlen sollte, notfalls mit Waffengewalt, haben am 6. Januar 2021 die größte Demütigung ihrer Geschichte erfahren, als ihr eigener, absonderlicher Präsident, dessen Gehirn von Phobien und Manien überquillt, den Abschaum aus den Gossen erfolgreich dazu aufgehetzt hat, in die Herzkammer der amerikanischen Demokratie, das Kapitol, mit wüstem Gebrüll einzudringen und die demokratische Staatsmaschinerie lahmzulegen. In diesem Augenblick hatte die amerikanische ach so sendungsbewußte Demokratie vor den Augen der Welt ihr Gesicht verloren! Ihr Präsident hatte als Führer versagt!
Der Gegenspieler im Kreml, Wladimir Putin, hätte dieses Ereignis zur Grundlage eines persönlichen Triumphs machen können, als Alexej Nawalny aus Deutschland nach Russland zurückkehrte. Statt das Flugzeug auf einen anderen Flughafen umzuleiten, hätte er darauf verzichten sollen. Statt ihn bei der Landung verhaften zu lassen, hätte er persönlich ihn zusammen mit seiner Frau zum Mittagessen mit Kaffee und Cognac in den Kreml einladen und anschließend eine Presseerklärung herausgeben sollen, in der er kundgetan hätte, dass er sich mit Nawalny über den Weg in die politische Zukunft Russlands geeinigt hätte. Der krönende Abschluss dieses Pressekommuniqués hätte die Erklärung sein können, dass die russische Justiz die Suche nach den Schuldigen an Nawalnys Vergiftung verstärken würde und Putin und Nawalny künftige Treffen in regelmäßigen Abständen vereinbart hätten.
Hätte Putin sich so verhalten, wäre er nicht nur in den Augen der Russen, sondern in den Augen der ganzen Menschheit die „Lichtgestalt der Welt“ gewesen, und ihm gegenüber wäre die Person es amerikanischen Präsidenten in den Augen der Welt zu einer „finsteren Jammergestalt“ zusammen geschrumpft. So hätte Putin Propaganda für Russland machen können!
Da Putin aber nicht so ist wie er sein könnte und beim Umgang mit dem russischen Volke offensichtlich in die Unterdrückungsmethoden russischer Zaren zurückfällt, wird es wahrscheinlicher, dass er auch so endet wie der letzte russische Zar, vor den Gewehrmündungen eines Erschießungskommandos in einem Keller – warum nicht in Jekaterinburg?!
Otfried Schrot