Sehr geehrter Herr Merz ,
als Arzt und Reserveoffizier (Flottillenarzt d. R.) muss ich mit dem Spannungsverhältnis fertig werden, einerseits Menschen zu heilen, andererseits bereit zu sein, mit der Waffe in der Hand (oder in den Händen meiner Kameraden) unsere Freiheit und unsere Grundwerte um den Preis von Gewaltausübung und deren Folgen für menschliches Leib und Leben zu verteidigen. Für verantwortungsvolle Politiker sieht das ähnlich aus: Auch ihr Ziel ist der Frieden, nicht der Krieg. Die Eidesformel des Bundeskanzlers lautet: … dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden …
Damit bin ich als langjähriges CDU-Mitglied bei meinen Bedenken zur möglichen Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Nach 5.000 Stahlhelmen und den Leopard 2-Panzern könnte eine relevante Anzahl Taurus zur freien Verfügung der Ukraine tatsächlich Game-Changer werden, die den immer noch geografisch begrenzten Krieg außer Kontrolle geraten lassen und die Atommacht Russland kurzfristig in eine Eskalation locken, die gerade Deutschland übel bekommen dürfte.
Durch den zweiten Weltkrieg unterliegen die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland einer besonderen historischen Perspektive – anders als zwischen Russland und seinen ehemaligen Alliierten: Die damalige Sowjetunion hat nach dem deutschen Überfall etwa 27 Millionen Menschen verloren. Daraus erwächst auch für die heutige Politiker-Generation eine besondere historische Verpflichtung gegenüber der Russischen Föderation – ähnlich wie gegenüber Israel nach dem Holocaust –, wenngleich die Vorzeichen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine völlig andere sind. Militärische Notwendigkeiten sollten gerade aus deutscher Sicht immer in einer verantwortungsvollen Balance stehen zu Angeboten, die zu einer friedlichen Einigung führen können.
Geschichte wiederholt sich nicht, aber geschichtliche Vorgänge können Ähnlichkeiten aufweisen: Der NATO-Doppelbeschluss vor fast 50 Jahren besaß diese Balance zwischen Drohung und Verhandlungsbereitschaft. Mit seiner Hilfe konnten Helmut Kohl und andere die Geschichte dahin lenken, dass der Kalte Krieg zu Ende ging, Deutschland friedlich wiedervereinigt wurde und sich zumindest zweieinhalb Jahrzehnte lang eine Friedensordnung in Europa stabilisierte. Es mag ein, dass Sie parallel zu Ihrem wiederholt erklärten, festen Willen zur Taurus-Lieferung an die Ukraine die diplomatische Option mit Russland im Hinterkopf haben, aber lassen Sie bitte ebenso wie damals Helmut Schmidt und Helmut Kohl die Bürger wissen, dass es diese Balance der zwei parallelen Wege gibt. Ohne die erklärte diplomatische Option klingen Ihre Manifestationen wie die zu Taurus wie reinster Bellizismus. Den sollten Sie bitte Chargen wie Frau Strack-Zimmermann oder Herrn Kiesewetter überlassen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die internationale Gemeinschaft und Deutschland ganz besonders gemeinsam mit den USA auf diplomatische Lösungen setzen, um den Krieg zu beenden und Frieden zu schaffen. Militärische Unterstützung darf immer nur die ‚ultima ratio‘ sein, ganz besonders, wenn die Gefahr besteht, dass sie zu unkontrollierbarer Eskalation führt.
Ich appelliere an Sie und weitere Entscheidungsträger, sich für eine friedliche Lösung zwischen Russland und der Ukraine einzusetzen.
Nein ! zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Frederick de Brabandt / Flottillenarzt d.R.