Leserbrief zu „Ins Herz der Finsternis“
von Hubert Wetzel, SZ vom 3. 5. 14, Seite 4
Hubert Wetzel konkretisiert seine Ausgangsthese - „Staaten streben wieder nach Landgewinn“ -, am Beispiel der üblichen Verdächtigen Russland, Iran und China. Der spätestens seit dem 2. Weltkrieg entscheidende geopolitische Akteur auf der Weltbühne, die USA, kommt ihm dabei bezeichnenderweise nicht in den Sinn, obwohl die einzige verbliebene Weltmacht jederzeit auf weltweit ungefähr 1000 Militärstützpunkte zurückgreifen kann, um das in den 1990er Jahren entwickelte Projekt „Amerikas neues Jahrhundert“ und dessen Herzstück, die Schaffung des „Greater Middle East“ abzusichern – Ausdruck exakt der den gesamten Globus umspannenden Geopolitik, die Wetzel „mit dem Kalten Krieg ....zu Ende gegangen“ wähnt.
Vielleicht sei diese Annahme ja naiv gewesen – so Wetzel. Naiv ist in jedem Fall der mit dieser Annahme verknüpfte, obsolete Herrschaftsbegriff. Die platte kolonialistische „Landnahme“ ist subtileren Kontrollstrategien - durch das vom Dollar-Imperialismus dominierte Weltwirtschafts- und Finanzsystem (IWF, WTO, Weltbank etc.) – gewichen. (siehe dazu den gerade erschienenen Aufsatz von Mohssen Massarrat file:///J:/Dollar-Imperialismus%28LF%29.htm) Falls das zur Kontroll-Dominanz nicht reicht, werden geostrategisch bedeutsame Länder (insbesondere im ressourcenreichen Nahen Osten), vorzugsweise solche mit autoritär-despotischen Herrschaftsformen, finanziert und alimentiert, vor allem aber (ganz im Interesse des gewaltigen militärisch-industriellen Komplexes der USA und in weit geringerem Ausmaß ihrer westlichen Verbündeten) systematisch aufgerüstet, wobei sich der Westen eher nicht – wie Wetzel meint – „angewöhnt hat, Institutionen und Verträge (gelegentlich auch Werte) für wichtiger im Umgang zwischen Staaten zu halten als Geografie.“ Werte wie „Demokratie und Menschenrechte“ erweisen sich ganz im Gegenteil allzu oft als Vorwand für einen militärischen Interventionismus, dessen Resultat zumeist „failed states“ sind (Afghanistan, Irak, Libyen, Mali, Syrien....). Der durch das dabei erzeugte Chaos und Elend mit unzähligen Toten - etwa auch durch die Drohnenangriffe der USA - geradezu mutwillig provozierte Hass auf den Westen (und seine lokalen Vasallen) ruft zwangsläufig den „Terrorismus“ hervor, der dann wiederum heuchlerisch zur Rechtfertigung weiterer profitabler militärischer Interventionen gereicht. Im Falle Syriens schreibt etwa der Strafrechtler und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel am 02.08.2013 in der FAZ („Der Westen ist schuldig“): „In Syrien sind Europa und die Vereinigten Staaten die Brandstifter einer Katastrophe“, weil sie „die illegitime Wandlung des [syrischen] Widerstands zu einem mörderischen Bürgerkrieg ermöglicht, gefördert, betrieben“ haben.
Der SZ-Leitartikel – ein Musterbeispiel für in die NATO-Ideologie „eingebettete“ manipulative Meinungsbildung durch ein (von Uwe Krüger in „Meinungsmacht“, Köln 2013, trefflich analysiertes) ) Medienkartell - strotzt nur so vor Einseitigkeit in seinem Bemühen, die Aufmerksamkeit vom „Elefanten im Zimmer“ abzulenken auf die „Schurkenstaaten“, die „Barbaren“, für deren „Landnahmemethoden“ der aufgeklärte Westen angeblich kein Verständnis mehr aufbringe und derer er müde sei. Zusehends müde ist der geneigte Leser eher ob der dreisten Volksverdummung, der er sich bedauerlicherweise auch durch den außenpolitischen Teil der SZ in steigendem Maße ausgesetzt sieht. Glücklicherweise scheint diese nach neoliberaler und –konservativer Ideologie zugerichtete massenmediale Berichterstattung und Kommentierung in Zeiten der Informationsmöglichkeiten durch das Internet - befördert gewiß auch durch den NSA-Skandal und die Ukraine-Krise - einem immer größer werdenden Publikum unangenehm aufzustoßen.
Jürgen Jung
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