Wähler resignieren – Parteien dirigieren
Seit vielen Jahrzehnten heißt es: Die da oben machen doch sowieso was sie wollen. Wer sagt das, dass die da oben machen was sie wollen? Und wer sagt, dass wir nichts machen, dass wir sowieso nichts ändern können?
Zu denen, die solche Sätze von sich geben, gehöre auch ich immer mal wieder, gehören auch Bekannte, Freunde und Verwandte von mir. Und ich vermute, dass auch etliche Leserinnen und Leser zu den Menschen gehören, welche die Auffassung teilen, dass wir sowieso nichts ändern können.
Vermutlich gehören sehr viele aus der Gruppe der Nichtwähler zu denen, welche der Überzeugung sind, dass sie nichts ändern können. Liegen diese Mitbürgerinnen und Mitbürger gänzlich falsch?
"Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten", soll Kurt Tucholsky gesagt haben, wobei nicht ganz sicher ist, ob dieses Zitat nicht von der Anarchistin Emma Goldmann stammt. Aber darauf kommt es hier nicht.
Vielmehr geht es zum Beispiel darum, wie und wen wir wählen können und woran es liegt, dass wir – also Sie und ich und unsere Bekannten, Freunde und Verwandten – das Gefühl haben, dass "die da oben" machen was sie wollen.
Ein wesentliche Ursache: Wir haben nur eine sogenannte "repräsentative Demokratie", die offensichtlich mit der attischen Demokratie nichts zu tun hat, weil sie in keiner Weise den Zweck der attischen Demokratie verfolgt (vgl. hierzu z.B. Rainer Mausfeld u.A.).
(Fast) nur Parteimitglieder wählbar
Wen können wir überhaupt – als Repräsentant – wählen? Und wer präsentiert und unterstützt die Kandidatinnen und Kandidaten, die für uns zur Wahl stehen?
Es ist offensichtlich, dass (fast) alle Kandidatinnen und Kandidaten auf Wahlplakaten einer Partei angehören. Diese Tatsache beantwortet die Frage, wen wir überhaupt wählen können. Wir können nur Mitglieder von politischen Parteien wählen, bis auf ganz wenige Ausnahmen.
Wen wir wählen können bestimmen die Parteien und sonst niemand, bis auf die "Zulassungsstelle", besetzt mit Beamten.
Wird eine Partei einen Kandidaten aufstellen und unterstützen, welcher nicht auf Linie der Partei ist? Wohl nicht.
Und wie verhält es sich mit den Wahl-Listen der Parteien, zum Beispiel für eine Bundestagswahl? Selbstverständlich bestimmt ausschließlich die jeweilige Partei wer überhaupt auf die Liste kommt und welchen Rangplatz die Kandidatin oder der Kandidat einnimmt.
Es ist meines Erachtens offensichtlich, dass die politischen Parteien uns die Kandidaten vorsetzen, die ihnen genehm sind, und wir weder wissen wie die interne Auswahl vor sich ging, noch wieso diese Kandidatin oder dieser Kandidat für uns zur Wahl steht.
Parteien diktieren und ignorieren das Grundgesetz
Schon der Auswahlprozess zeigt, dass die entsprechenden Kandidatinnen und Kandidaten von ihrer jeweiligen Partei abhängig sind. Die Abhängigkeit zeigt sich auch im sogenannten Fraktionszwang, der unserem Grundgesetz widerspricht. Über (unsere) Abgeordneten steht in unserem Grundgesetz: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" (Art. 38 Abs. I Satz 2 GG).
Aufgrund der Tatsachen ist die Frage: "Wer sind die da oben", beantwortet. Es sind die Parteien, die machen was sie wollen und auf die wir keinen Einfluss haben.
Eine Krux an der Sache ist zudem, dass wir keine Klagebefugnis bezüglich der Wahlgesetze haben. Das heißt, dass wir die Wahlgesetze von keinem Gericht ohne Weiteres prüfen lassen können. Dasselbe gilt übrigens auch fürs Parteiengesetz, auch hier können wir nicht ohne Weiteres ein Gericht anrufen, welches das Parteiengesetz überprüft.
In beiden Fällen, also im Fall der Wahlgesetze sowie im Fall des Parteiengesetzes, werden die Parteien selbst kein Gericht um Prüfung auf Rechtmäßigkeit bitten. Denn alle Parteien profitieren von diesen Gesetzen.
Allein eine riesig große Volksbewegung, andauernde Demonstrationen, wie etwa in der ehemaligen DDR oder ganz früher, in den 1950er und 1960er Jahren in der alten BRD, könnten die Parteien zu Änderungen zwingen.
Wir sollten meines Erachtens bedenken, dass auch extreme Parteien, egal ob von rechts oder links, zunächst kein Interesse haben die Wahlgesetze oder das Parteiengesetz zu ihren Ungunsten zu verändern. Alleine eine erneute Diktatur, welche unseren Rechtsstaat völlig aushebelt, würde eine komplett andere "Politik" nach sich ziehen – und wer will das, eine Diktatur ist doch auch nicht besser als eine Pseudo-Demokratie.
Auf jeden Fall ist klar wer bei uns bestimmt wo's lang geht: Die politischen Parteien – und nicht wir. Auch wenn wir das Volk sind, so folgen uns die Politparteien noch lange nicht.
Jörg Stimpfig
„Eine Diktatur ist doch auch nicht besser als eine Pseudo-Demokratie“, schreiben Sie, lieber Herr Stimpfig. Das muss ich, die 40 Jahre in der Diktatur des Proletariats gelebt habe, Ihnen bestätigen.
Sie ist demzufolge aber auch nicht schlechter. Es kommt mir nach schmerzlichen Nachwendejahren sehr vieles bekannt vor.
Da ich noch vieles behalten habe, was ich einst lernte, also zwischen den Zeilen lesen und auch so sprechen kann, dass andere das dazwischen Gesprochene verstehen.
Dass ich die Dinge kritisch benennen kann, ohne irgendwo anzustoßen und ohne mich zu verbiegen. Dass ich weiß, wie man sich einbringt, ohne sich zu verkaufen. Dass man nicht alles glauben darf, was andere sagen, also die Nachrichten hinterfragen muss und vor allem, das Denken nicht vergessen darf.
Und immer und überall „... et respice finem.“
Ich grüße Sie.