Im NSU-Prozess setzt Richter Manfred Götzl vor allem auf die Kraft seiner Sturheit. Er hat das Verfahren im Griff, aber nicht immer sein Temperament
Es gibt sicher nicht sehr viele Vorsitzende Richter in der Münchner Justiz, denen man zutrauen konnte, die Leitung dieses NSU-Mammutprozess, der noch dazu im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit steht, ohne größere Katastrophen über die Justizbühne zu bringen. Vorsicht! Es ist erst Halbzeit, alles ist noch möglich. Glücklicherweise war Herr Götzl 2010 rechtzeitig zum OLG befördert worden - nach einigen sehr deftigen und sehr umstrittenen 'Lebenslänglich-Urteilen' (z. B. im Parkausmordfall Böhringer). Dass auch seine Urteile "revisionssicher" waren, d.h. in der Revision vom BGH bestätigt wurden, muss nicht besonders wundern, wenn man weiß, dass der zuständige 1. Senat, damals noch unter Herrn Nack, weit weniger Urteile für überprüfbar hielt als andere BGH-Senate, und dass zweitens diese Urteile grundsätzlich nur sehr bedingt überprüfbar sind, weil es keine Protokolle von den Zeugenaussagen gibt. Eine weithin, auch bei Ziviljuristen unbekannte Tatsache: protokolliert, und das nur sehr unzulänglich, werden Zeugenaussagen in Strafverfahren nur bei amtsgerichtlichen Verfahren, also nur wenn es nicht um schwerwiegende Straftaten geht. Beim Landgericht und, wie jetzt, beim Oberlandesgericht, obliegt es der Gnade des Vorsitzenden, ob er den Anträgen der Verteidiger, die Zeugenaussagen zu protokollieren, statt gibt oder nicht. Herr Götzl gibt derartigen Anträgen erfahrungsgemäß nie statt. Das war schon beim Parkhausmordfall so und ist beim NSU Verfahren nicht anders.
Das Gericht soll aufgrund der Hauptverhandlung und der Abwägung aller dort gehörten Zeugen zu einem Urteil über die Schuld oder Unschuld der Angeklagten kommen. Wie merkt man sich die Aussagen von c. 600 Zeugen so, dass man die wichtigen Elemente nach über einem Jahr für das Urteil dann noch parat hat? Die Beisitzer schreiben während der Verhandlungen etwas mit, die Verteidiger schreiben etwas mit, die Vertreter der Nebenkläger wahrscheinlich auch - würde man am Ende alle diese Notizen vergleichen, fände man wahrscheinlich viele psychologische Untersuchungen zu diesem Thema bestätigt: jeder hat etwas anderes mitgeschrieben, etwas anderes als wichtig befunden und alles andere aussortiert. Dass die Richter, in der Regel als Staatsanwälte trainiert, sich nicht unbedingt für den Angeklagten entlastende Sachverhalte merken, kann jeder feststellen, der häufiger Strafprozesse besucht.
Wortprotokolle erstellen zu lassen, wie es Rechtsanwalt Strate beim soeben beendeten Mollath Prozess vor dem Landgericht Nürnberg tat, auf eigene Kosten und durch einen Bundestagsstenografen und diese Protokolle auf seiner Webseite veröffentlichte, gibt es im deutschen Strafprozess nicht. Pech für die Angeklagten.
Obwohl es im NSU-Verfahren sogar egal sein dürfte, ob es Wortprotokolle der Zeugenaussagen gibt oder nicht. Kann Frau Tschäpe wirklich mit einem anderen Urteil rechnen, als als Mittäterin bei den zehn Morden verurteilt zu werden? Juristisch geht es hier um die diffizile Frage, ob das Gericht ihr wirklich Mittäterschaft, also eine gleichberechtigte Tatherrschaft wie die beiden toten Uwes nachweisen kann, oder nur eine Beihilfe. Die meisten Nazi-Schergen in den KZs, die direkt an der Vergasung von tausenden von Juden beteiligt waren, wurden meistens nur wegen Beihilfe verurteilt. Aufgrund einer BGH-Rechtsprechung die das ermöglichte. Bei Frau Tschäpe ist die Beweislage, was sie von den Morden tatsächlich wusste und wollte, sehr viel schwieriger als z. B. bei John Demjanjuk, der 2011 vom LG München nur wegen "Beihilfe zum Mord" in 28060 fällen verurteilt wurde, obwohl es auch nach über 70 Jahren noch zahlreiche direkte Zeugen seiner Taten gab.
Bei Frau Tschäpe kann man davon ausgehen, dass das Urteil schon bei Beginn des Prozesses feststand: Lebenslänglich wegen Mord in 10 Fällen als Mittäterin. Da die Ermittlungen so katastrophal gelaufen sind und weil erst nach 10 Jahren überhaupt in der richtigen Richtung gesucht wurde und nicht nur im 'kriminellen Türkenmilieu', muss jetzt wenigstens irgendjemand für diese Morde verurteilt werden, und zwar richtig. Es gilt der Grundsatz aller Strafprozesse: Wo ein Wille, ist auch eine Begründung. Und 'Wille', das wurde in dem Götzl-Portrait sehr gut beschrieben, hat Herr Götzl ausreichend. Jedes andere Urteil wäre eine politische Katastrophe und ein weltweiter Imageschaden für Deutschland als Rechtsstaat. Und deshalb wird der Show-Prozess - Motto: "wir tun jetzt mal so, als wäre es wirklich erheblich, was die Zeugen aussagen" - weitergehen. Und die Revision hat danach auch keine Chance, denn eine schlüssige und damit revisionssichere Geschichte kann Herr Götzl im Urteil auf jeden Fall schreiben, das hat er schon oft bewiesen. Deshalb ist er schon Vorsitzender Richter beim OLG.