LESERBRIEF  zu SZ v. 4.9.14  VORSICHT. 

Im NSU-Prozess setzt Richter Manfred Götzl vor allem auf die Kraft seiner Sturheit. Er hat das Verfahren im Griff, aber nicht immer sein Temperament



Es gibt sicher nicht sehr viele Vorsitzende Richter in der Münchner Justiz, denen man zutrauen konnte, die Leitung dieses NSU-Mammutprozess, der noch dazu im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit steht, ohne größere Katastrophen über die Justizbühne zu bringen.  Vorsicht!  Es ist  erst Halbzeit, alles ist noch möglich.  Glücklicherweise war Herr Götzl 2010 rechtzeitig zum OLG befördert worden - nach einigen sehr deftigen und sehr umstrittenen 'Lebenslänglich-Urteilen' (z. B. im Parkausmordfall Böhringer).  Dass auch seine  Urteile  "revisionssicher"  waren, d.h. in der Revision vom BGH bestätigt wurden, muss  nicht besonders wundern, wenn man weiß, dass der zuständige 1. Senat,  damals noch unter Herrn Nack,  weit weniger Urteile für  überprüfbar hielt als andere BGH-Senate,  und dass zweitens  diese Urteile grundsätzlich nur sehr bedingt überprüfbar sind, weil es keine Protokolle von den Zeugenaussagen gibt.  Eine weithin, auch  bei Ziviljuristen  unbekannte Tatsache:  protokolliert, und das nur sehr unzulänglich,  werden Zeugenaussagen in Strafverfahren nur bei  amtsgerichtlichen Verfahren, also  nur wenn es nicht um schwerwiegende Straftaten geht.  Beim Landgericht und, wie jetzt,  beim Oberlandesgericht, obliegt es der Gnade des Vorsitzenden, ob er den Anträgen der Verteidiger,  die Zeugenaussagen zu protokollieren,  statt gibt oder nicht.  Herr Götzl gibt derartigen Anträgen erfahrungsgemäß nie statt.  Das war schon beim Parkhausmordfall so  und ist beim NSU Verfahren nicht anders. 
Das Gericht soll  aufgrund der Hauptverhandlung und der Abwägung aller dort gehörten Zeugen zu einem Urteil über  die Schuld oder Unschuld der Angeklagten kommen.   Wie merkt man sich die Aussagen von  c. 600 Zeugen so,  dass man die wichtigen Elemente nach über einem Jahr für das Urteil dann noch parat hat?  Die Beisitzer  schreiben während der Verhandlungen etwas mit, die  Verteidiger schreiben etwas mit,  die Vertreter der Nebenkläger wahrscheinlich auch -   würde man am Ende alle diese Notizen vergleichen, fände man wahrscheinlich viele psychologische Untersuchungen zu diesem Thema bestätigt:  jeder hat etwas anderes mitgeschrieben, etwas anderes  als wichtig befunden und alles andere aussortiert.  Dass die Richter, in der Regel  als Staatsanwälte trainiert,  sich nicht unbedingt für den Angeklagten entlastende Sachverhalte merken, kann jeder feststellen, der häufiger Strafprozesse besucht. 
Wortprotokolle erstellen zu lassen, wie es Rechtsanwalt Strate beim soeben beendeten Mollath Prozess  vor dem Landgericht Nürnberg tat,  auf eigene Kosten und  durch einen Bundestagsstenografen und diese Protokolle auf seiner Webseite veröffentlichte,  gibt es im deutschen Strafprozess nicht.  Pech für die Angeklagten.

Obwohl es im NSU-Verfahren  sogar egal sein dürfte, ob es Wortprotokolle der Zeugenaussagen gibt oder nicht.  Kann Frau Tschäpe wirklich mit einem anderen Urteil rechnen, als als Mittäterin bei den zehn Morden  verurteilt zu werden?  Juristisch geht es hier um die diffizile Frage, ob das Gericht  ihr wirklich Mittäterschaft, also eine gleichberechtigte Tatherrschaft  wie die beiden toten Uwes nachweisen kann,  oder nur eine Beihilfe.   Die meisten Nazi-Schergen   in den KZs,  die direkt an der Vergasung von tausenden von Juden beteiligt waren, wurden  meistens nur wegen Beihilfe verurteilt.  Aufgrund einer BGH-Rechtsprechung die das ermöglichte.   Bei Frau Tschäpe ist die Beweislage,  was sie  von den Morden tatsächlich wusste und wollte, sehr viel schwieriger als z. B.  bei John Demjanjuk, der 2011 vom LG München nur wegen "Beihilfe zum Mord" in 28060 fällen verurteilt wurde, obwohl  es auch nach über 70 Jahren noch zahlreiche direkte Zeugen seiner Taten gab. 
Bei Frau Tschäpe kann man davon ausgehen, dass das Urteil schon bei Beginn des Prozesses feststand: Lebenslänglich wegen Mord in 10 Fällen als Mittäterin. Da die  Ermittlungen so katastrophal gelaufen sind und  weil erst nach 10 Jahren überhaupt in der richtigen Richtung gesucht wurde und nicht nur im 'kriminellen Türkenmilieu', muss jetzt wenigstens irgendjemand für diese Morde verurteilt werden, und zwar richtig.  Es gilt der Grundsatz aller Strafprozesse: Wo ein Wille, ist auch eine Begründung. Und 'Wille', das wurde in dem Götzl-Portrait sehr gut beschrieben, hat Herr Götzl ausreichend. Jedes  andere Urteil wäre  eine politische Katastrophe und ein weltweiter  Imageschaden für Deutschland als Rechtsstaat. Und deshalb wird der Show-Prozess - Motto: "wir tun jetzt mal so, als wäre es wirklich erheblich, was die Zeugen aussagen" - weitergehen. Und die Revision hat danach auch keine Chance, denn eine schlüssige und damit revisionssichere  Geschichte kann Herr Götzl im Urteil auf jeden Fall schreiben, das hat er schon oft bewiesen. Deshalb ist er schon Vorsitzender Richter beim OLG.

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