SZ vom 18.08.2014, Seite R5, Titel "Fragwürdig und betriebsblind"
------------------------
LESERBRIEF "Staatsanwalt hält Mollath für schuldig" , Münchner Merkur, 9. u 10.8.2014 S. 11
Ich war zu Recherchezwecken bei dieser Verhandlung 10 Stunden lang anwesend. OStA Meindl wollte offensichtlich mit seinem sehr ausführlichen Plädoyer das Fehlverhalten der Bayerischen Justiz etwas gerade rücken. Mollath sollte die vorgeworfenen Straftaten zumindest begangen haben. Er machte hierzu das, was in Strafverfahren häufig gemacht wird: Mehr oder weniger halbscharige Indizien werden in einer ‚Gesamtschau’ zu überzeugenden Beweisen umfabuliert, die nicht einmal Zweifel beim Schauenden übrig lassen, denn dann würde in ‚in dubio pro reo’ gelten. Ob ein Staatsanwalt oder Richter Zweifel hat oder von seiner 'Gesamtschau' wirklich überzeugt ist, ist eine innere Tatsache, die man von außen nicht überprüfen kann. Wie substanzhaltig die ‚Indizien’ sind, kann man allerdings schon analysieren. Oberstaatsanwalt Meindl betonte mehrmals, dass er vollkommen und absolut von der Schuld des Angeklagten Mollath überzeugt sei, auch wenn es keine direkten Zeugen für die Taten gäbe, bzw. die einzige direkte Zeugin, die Ex-Ehefrau, die Aussage verweigerte. Es klang aber doch so, als müsse er es so stark betonen, um Zweifel im Keim zu ersticken.
RA Strate hat nach dem OStA ein vorzügliches, wenn auch sehr viel kürzeres Plädoyer gehalten. Er hat anhand von Dokumenten und Daten sehr detailliert dargelegt, wie Mollaths Ex-Ehefrau mit Lügen und Manipulationen Mollaths Einweisung in die Psychiatrie betrieben hat.
Dass dies tatsächlich für sieben Jahre möglich war, enthüllt große Mängel in der Gutachter- und der gerichtlichen Einweisungspraxis, die unbedingt beseitigt werden müssen, wenn wir das Projekt Rechtsstaat voranbringen wollen.
Alles an unserer Strafjustiz ist reformbedürftig. Leider scheinen die Strafjuristen so betriebsblind zu sein, dass sie gar nicht mehr merken, wie grotesk und absurd die Verfahrensweisen sind.
Dass Zeugenaussagen in landgerichtlichen Verfahren gar nicht protokolliert werden und in Amtsgerichtsprozessen Justizangestellte des mittleren Dienstes völlig unüberprüft in den Verhandlungen irgendetwas als Protokoll zusammenschreiben, lässt einem Ziviljuristen die Haare zu Berge stehen.
Mehr noch als die Ziviljustiz ist die Strafjustiz vor allem eine Maschinerie zur Vernichtung von sehr viel wertvoller Lebenszeit von unglaublich vielen Menschen – noch dazu mit höchst fragwürdigen Ergebnissen.