Leben aus dem Tod
Volkstrauertag – Totensonntag - Ewigkeitssonntag
Organspende - Leben aus dem Tod?
Wie gehen wir mit dieser Frage um?
Plötzlich wird sie konkret, ganz persönlich. Sehr direkt. Ausweichen ist nicht mehr möglich.
Jung oder alt: Jedem kann es so ergehen. Selten wird darüber geredet. Lieber geschwiegen. Deshalb möchte ich es mitteilen. Ganz persönlich. Spezifische Fragen unserer Zeit müssen wir an uns heran lassen. Und besonders an unsere Jugend weitergeben! Gerade als Menschen, die versuchen, nach Christlicher Botschaft zu leben. Leben aus dem Tod: Eine urchristliche Botschaft.
Auch die Medizin von heute braucht den Beistand. Überlassen wir die Ärzte zu viel sich selbst?
Stellen Sie sich vor:
Sie erhalten einen Anruf des Freundes Ihrer Tochter. Die Tochter ist tot.43 Jahre. Sie war in einer Depression Hat sich das Leben genommen. Der Freund hat sie gefunden. Zuletzt hatte er sie zwei Stunden zuvor gesehen.
Er ruft den Notarzt.
Wir Eltern rasen zur Wohnung.
Vielfaches Blaulicht in der Dunkelheit vor dem Haus ihrer Wohnung in Berlin
Wie lange mag sie bereits tot sein? Wiederbelebung? Die Notärztin mit Team ist voll im Einsatz. Meiner Frau und mir, Krankenschwester und Arzt, gehen Bilder schwerst hirngeschädigter Menschen nach einer Wiederbelebung durch den Sinn. Wir beten, dass unserer Tochter und uns das erspart bleibt. Es ist nicht alles gut, was die Medizin von heute kann.
Der Kreislauf kommt wieder in Gang. Feuerwehrmänner und Notärztin lachen und freuen sich. Wir Eltern sind bedrückt. Fragen die Notärztin, ob sie sich über die Konsequenzen ihres Einsatzes im Klaren ist? Sie schaut uns entsetzt an. Zu Recht. Die Tochter wird in die Charité gebracht. Sie wird beatmet, der Kreislauf ist stabil – wird uns gesagt.
Wir stehen an ihrem Bett. Tiefste Bewusstlosigkeit. Alles spricht für schwerste Hirnschädigung. Die Atmosphäre der Intensivstation ist getragen von menschlicher Wärme und Anteilnahme. Entgegen aller Erwartung.
Am nächsten Morgen Anruf des leitenden Professors. Er will noch ein Computer - Tomogramm des Kopfes durchführen lassen und uns dann sprechen.
Wir treffen ihn. Er erkundigt sich ausführlich nach der Krankheit unserer Tochter, die zum Suizid führte. Wir äussern vorsichtig unsere Bitte... Er unterbricht uns, schaut uns an:„Das Gehirn ist so schwer geschädigt, die Frage des Überlebens stellt sich nicht mehr!“
Wir sind fast erleichtert. Kann das jemand verstehen? Abstellen des Beatmungsgerätes darf nicht sein. Durfte damals - 2005 - nicht sein. Heute ist das Gsetz geändert. Abwarten: Stellt das Gehirn seine letzten Funktionen ein, der sogenannte Hirntod, oder bricht der Kreislauf zusammen? Der Kreislauf soll nicht mehr gestützt werden, verspricht der Professor. Wie lange es dauern wird, weiss niemand. Hoffentlich nicht zu lange.
Für den Fall des Hirntodes stellt der Chefarzt die Frage an uns Eltern nach der Erlaubnis zur Organentnahme zwecks Spende. Man betrachtet plötzlich Leben aus einem ganz anderen Blickwinkel. Wir kennen die Grundeinstellung unserer Tochter und stimmen der Organentnahme zu. Es hatte Gespräche gegeben.
Am nächsten Morgen ist es soweit.Das Gehirn hat seine letzten Funktionen eingestellt. Sie ist gestorben. Um 4 Uhr morgens. Die Freunde an ihrem Bett hatten es nicht bemerkt. Konnten es nicht wahrnehmen. Denn der Kreislauf wurde künstlich in Gang gehalten. Wir Eltern sollte es zuerst erfahren.
Wir stehen am Bett: Die Beatmung läuft, über den Monitor am Bett flimmert ein nahezu normales EKG, der Puls liegt bei 120 /Min, die Temperatur schwankt zwischen 39 und 41 Grad, sie sieht rosig-rot aus. Trotzdem: Sie ist tot. Eine Tote, die lebt? „Das zu akzeptieren, ist die schwerste Phase für Angehörige“ erklärt der Professor teilnehmend.
Drei Ärzte des Uni-Klinikums müssen unabhängig voneinander den Tod bestätigen. Dann kommt das Ärzteteam der „Stiftung für Organtransplantation“. Sie überprüfen noch einmal sämtliche Funktionen. Deren Bestätigung ist der offizielle Zeitpunkt des Todes: Mittags 13 Uhr.
Trotzdem: Beatmung, Puls, EKG, Temperaturen: Alles läuft unverändert weiter. Dann geht es auf unsere Bitte hin schnell. Am nächsten Morgen können wir sie sehen, aufgebahrt. Ein Leiden ist zu Ende. Später beim Abschied in der Kapelle des Beerdigungsinstitutes sieht sie in ihren Kleidern friedlich aus. Als ob sie schliefe. So haben wir sie gekannt.
Einige Tage später erreicht uns mit der Post ein Brief der Stiftung für Organtransplantation:
„Herz, Lungen, Leber, Nieren wurden in Hannover, Münster, Kaiserslautern und Berlin transplantiert. Die Organe haben die Funktion aufgenommen. Den Patienten geht es den Umständen entsprechend gut. Sie haben Menschen eine neue Chance fürs Leben gegeben.“
Leben aus dem Tod. Wir Eltern sind nicht nur traurig. Wir sind auch dankbar. Gott sei Dank!
Viele Menschen warten auf Organe. Für eine neue Chance. Zum Leben. Fast wie eine Auferstehung vom bereits sicheren Tod. Es gibt viel zu wenig Spender.
Die Stammzellforschung bietet eine ungeheure Chance. Organe zu entwickeln. Menschen neue Chancen zu geben. Zum Leben. In vielen Ländern ist dies erlaubt. In Deutschland nicht.
Wir sind das Volk. Warum lassen wir dies nicht zu? Der deutsche Bundestag verweigert Leben?
Auch die offizielle Stellungsnahme der Kirchen ist dagegen. Gegen Leben aus dem Tod? Gott lässt diese Chance zu – und wir verweigern sie Mitmenschen? Unseren Nächsten? Müssen wir nicht umdenken? Die Kirche sind wir. Nicht irgendwelche Bischöfe. Wer nicht in der Kirche ist, sollte sich trotzdem nicht der notwendigen Diskussion verweigern. Alle tragen Verantwortung.
Weihnachten - Karfreitag – Ostern – Pfingsten…
Für uns seitdem in einem neuen Licht. Und sehr konkret.
Leben aus dem Tod. Eine urchristliche Botschaft, vielleicht sogar d i e Botschaft schlechthin.
Was wäre Karfreitag ohne Ostern? Was wären beide ohne Pfingsten? Wer kann sich dem entziehen?
Bramsche, den 2.11.2019 Almuth und Christoph Hilsberg
Leben aus dem Tod
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- von Dr. med. Christoph Hilsberg †
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