Zunächst wünsche ich Ihnen und uns allen den Segen Gottes für das Jahr 2022.
Erlauben Sie mir einen kurzen Blick in die Zukunft des Christentums in Europa – obwohl ich sie nicht kenne! – Viele Medien verbreiten die Ansicht, die katholischen Kirche in Deutschland stehe vor ihrem Ende, sei nicht reformierbar, weil sie auf die Bedürfnisse der heutigen Menschen nicht eingehe. Lassen Sie sich bitte nicht auf diese Interpretation ein! Wir können meines Erachtens aus der Krise herauskommen, wenn wir ihre Ursache erkennen und dann das richtige Verhalten zeigen.
Entscheidend ist meines Erachtens: Es gelingt denen, die zur Verkündigung berufen sind, nicht gut genug, Jesus Christus und sein Mysterium vorzustellen. Denn das ist heute schwer. Was durch Jahrhunderte selbstverständlich war, ist heute eine große Herausforderung. Auch ist es Priestern und Katecheten nicht gelungen, der großen Mehrheit der Getauften in Mitteleuropa ein Grundwissen über den Glauben zu vermitteln. Es kommt dazu, dass die Kirche meist wie ein Verein angesehen wird, den man nur richtig organisieren muss, damit er wieder Mitglieder gewinnt.
Ich denke: Auch wenn überzeugende Frauen verkündigen und Gemeinden leiten könnten, wenn der Zölibat abgeschafft und die Kirche dezentralisiert würde, würde dies dem Glauben an Jesus Christus nicht direkt wesentlich helfen. Das zeigt sich in der evangelischen Kirche. Es käme darauf an, dass es den Verkündigern gelänge, Jesus Christus anziehend, überzeugend, gewinnend vorzustellen. Die ersten Verantwortlichen dafür sind die Eltern.
Christus ist eine aufregende Gestalt, ein Mysterium. Es ist lohnend, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Einer gebildeten Minderheit wird es wohl leichter sein, sich für Christus zu interessieren und sich von den unzähligen Vorurteilen gegen den Glauben zu befreien. In anderen Weltteilen – gerade auch in China – wächst das Interesse an Christus. In Vietnam z.B. gab es im Lauf der letzten 200 Jahr rund 130.000 Märtyrer, die für ihren christlichen Glaubens gestorben sind.
Und: Als Christus starb, hatten die Jünger sein Anliegen kaum verstanden, waren geflohen. Sie hatten keine ausgebaute Struktur. Jesu Projekt stand vor einem Scherbenhaufen. Jesu Freunde hatten Angst, zu ihm zu stehen. Durch ein Wunder des Geistes wurden sie zu todesmutigen Zeugen. Wenn das nicht so wäre, gäbe es heute keine Kirche. Auch wenn die Lage in Europa dramatisch ist. Sie ist nicht verloren. Es geht nicht um Geist oder Strukturen, sondern um Geist in Strukturen, es geht nicht um Glauben oder Vernunft, sondern um Geist in Vernunft.
Der bekannte Journalist Wolfram Weimer hat in diesen Tagen in dem Buch „Sehnsucht nach Gott“ darauf hingewiesen, dass Religionen weltweit an kultureller Bedeutung gewinnen. Weil Europa und seine politischen Verantwortlichen meinten, Religion sehr Privatsache, sei für den Staat irrelevant, hinke es hinterher, Europa sei unterentwickelt.
Es kommt m. E. heute auch darauf an, dass die Relevanz von religiösem Glauben wieder entdeckt wird, und die „Entdecker“ den Glauben kennen und zu leben versuchen – oder wie man klassisch sagt – von ihm durch ihr Leben Zeugnis geben
Man kann „Kirche“ nicht organisieren, strukturieren. Wir sollten das Evangelium überzeugt verkündigen und leben. Das geht an der Gesellschaft nicht spurlos vorbei.
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes neues Jahr.
P. Eberhard Gemmingen SJ
P. Eberhard Gemmingen SJ
Im Einsatz für Glaube und Gerechtigkeit