Sehr geehrte Damen und Herren,
"Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht“.
So lässt Heinrich Heine seine berühmten Nachtgedanken aus dem Jahr 1844 beginnen. Anders als es der allgemeine Sprachgebrauch vermuten lässt, lag der Schlaflosigkeit des Romantikers keine politische Analyse der Situation in Deutschland zugrunde, sie war vielmehr Ausdruck einer herzzerreißenden Sehnsucht des ins französische Exil geflüchteten Dichters nach seiner Mutter. Nur an einer Stelle streift Heine die allgemeine Lage in seinem Heimatland: „Deutschland ist von ewigem Bestand, es ist ein kerngesundes Land!“.
Wie sehr haben sich die Zeiten doch geändert.
Deutschland befindet sich in einem ökonomischen und gesellschaftlichen Niedergang.
Nirgendwo lässt sich dieser Befund besser ablesen als an der Entwicklung der Industrie, dem ehemaligen deutschen Vorzeigesektor schlechthin.
Entgegen dem Trend im Rest der Welt befindet sich die Industrieproduktion seit mittlerweile fünf Jahren im Sinkflug.
Ursächlich sind eine ganze Reihe von Faktoren. Eine fehlgeleitete Zuwanderung überwiegend in die Sozialsysteme, die träge und ausufernde Bürokratie, hohe Abgaben, die demografische Alterung, Fach- und Arbeitskräftemangel sowie hohe Energiepreise aufgrund einer verkorksten Energiewende.
In Umfragen zur internationalen Standortqualität landet Deutschland regelmäßig abgeschlagen auf hinteren Rängen. Der einstmalige Exportweltmeister "Made in Germany" ist nur noch ein Schatten seiner selbst.
Als Folge davon reicht jede noch so kleine konjunkturelle Schwäche in China, den USA oder aber den großen Mitgliedsstaaten der Eurozone aus, um Deutschland in eine Rezession zu treiben. Für eine wirkungsvolle Absorption externer Schocks fehlt schlicht der Speck auf den Rippen.
Die demografische Alterung dämpft nicht nur das Produktionspotenzial, sie erhöht auch den Finanzierungsbedarf der gesetzlichen Rentenversicherung.
Wenn die 2018 beschlossene doppelte Haltelinie (Beitragssatz bei 20% gedeckelt, Sicherungsniveau vor Steuern nicht unter 48%) fortbestehen soll, müssen weiter steigende Zuschüsse des Bundes die ausufernde Finanzierungslücke schließen.
Innerhalb von zehn Jahren hat sich der Zuschuss bereits von knapp 60 Mrd. Euro jährlich auf über 100 Mrd. Euro erhöht und wird in den nächsten Jahren exponentiell weiter steigen.
Noch genießt Deutschland als Schuldner an den internationalen Finanzmärkten einen untadeligen Ruf. Das könnte sich aber in den nächsten Jahren ändern. Zumal die Zinswende erst mit Verzögerung die jährliche Zinslast in die Höhe treibt und damit eine Schuldenspirale in Gang setzen könnte.
Deutschland befindet sich in keiner konjunkturellen, sondern einer strukturellen Wachstumskrise, die sich nur über eine nachhaltige Beschleunigung der Produktivitätszuwächse überwinden lässt
Freundliche Grüße
Alfred Kastner