Es ist schon verblüffend, wie reflexhaft, - man ist versucht zu sagen -, gut orchestriert, viele unserer Zeitgenossen reagieren, wenn es um Israel geht.
Die Karikatur zur Buchbesprechung von Heiko Flottau, so die Bildunterschrift, stelle Israel als „gefräßigen Moloch“ dar. Dies sei, so beeilt sich die SZ, einschränkend hinzuzufügen, die Ansicht von „Israels Feinden“.
Ist es nicht eher, abgesehen von der (Karikaturen häufig eigenen) Boshaftigkeit, eine nicht zu bestreitende empirische Feststellung, dass Israel nach dem Krieg zunächst insbesondere von Deutschland („Wiedergutmachung“ – als ob das ungeheure Verbrechen des Judenmordes einen materiellen Tauschwert hätte!), später dann vor allem von den USA mit gewaltigen Summen (und stets auch Waffen) alimentiert wurde und wird, so dass das kleine Land heute die viertgrößte Militärmacht der Welt ist?
Wenn man bedenkt, dass die Palästinenser Israels ursprünglich ca. 93 Prozent des Kernlandes besaßen, heute dagegen nicht einmal 3 Prozent - und sie haben das Land nicht freiwillig hergegeben –, dann ist die Assoziation „Moloch“ auch nicht gerade abwegig - und so boshaft nun nicht. Israel hat sich das Land mit den verschiedensten Methoden – sagen wir - „einverleibt“.
Die Krux in dem „Wolfsgeheul“ (Günter Grass) ist ja ganz offensichtlich, dass die Briefeschreiber kurzerhand Israel und Judentum gleichsetzen und dann folgerichtig die den Staat Israel treffen sollende Karikatur als „antisemitisch“ diffamieren. Dabei wird übersehen, dass die denkbar schärfste Kritik an Israel von Israelis selbst, von Juden weltweit (wie Peter Beinart), geäußert wird, die dann wohl groteskerweise auch alle als „Antisemiten“ zu gelten hätten. Die damit einhergehende Banalisierung und Entwertung des Antisemitismusvorwurfs scheint unseren blinden Israelfreunden zu entgehen, die sich in aller Regel an einem abstrakten Israel-Bild orientieren, das mit der Wirklichkeit nur wenig gemein hat. Schon 1968 hat der große israelische Gelehrte Yehoshua Leibowitz vorausgesagt, dass Israel durch die Besetzung palästinensischen Landes zwangsläufig zu einem „kolonialistischen Geheimdienststaat“ werde, und dies sei auch eingetreten - so zumindest Yuval Diskin, der ehemalige Chef des Shin Bet, des Inlandsgeheimdienstes, 2013 im Dokumentarfilm „The Gatekeepers“ („Töte zuerst!“).
Daß Israel überhaupt nur durch eine ethnische Säuberung entstanden ist, die bis heute gnadenlos fortgesetzt wird (siehe den Siedlungsbau, die gegenwärtig sich vollziehendeVertreibung der Beduinen im Negev und so fort), liegt nun allerdings in der Natur des klassisch-europäischen Siedlerkolonialismus (wie seinerzeit auch in den USA, in Australien, in Neuseeland, in Südafrika), zu dem sich die Zionisten ganz unbefangen-stolz bekannten.
Die leicht belegbare Feststellung, dass es sich bei Israel - trotz formaler (v. a. für jüdische Israelis geltender) Demokratie - um einen Apartheidstaat handelt, wird von südafrikanischen Kennern der Materie, etwa den Friedensnobelpreisträgern Nelson Mandela, Bischof Tutu und vielen anderen, auch Israelis, sogar in der SZ (in Gestalt von Alon Liel, dem ehemaligen isralischen Botschafter in Südafrika)) bestätigt. Gerade Südafrikaner heben hervor, daß die israelische Form der Apartheid schlimmer sei als die in Südafrika praktizierte.
Dies alles bedenkend, kann man sich nur an den Kopf fassen ob der geradezu hysterischen Reaktionen auf die SZ-Karikatur, die zum einen deutlich machen, wie wenig wir unsere Vergangenheit „bewältigt“ haben, begriffen haben, dass die Lehre aus unserer Geschichte gewiß nicht eine partikulare sein kann - „Das darf den Juden nie wieder geschehen“ -, sondern allein die universalistische „Das darf niemandem je wieder geschehen.“
Zum andern sind diese zumeist deutsch-befindlichen Empörungen womöglich zu verstehen als Ausdruck der Panik, in die unsere sich mit dem „Judenstaat“ identifizierenden Philosemiten allmählich geraten angesichts der zunehmend selbst-delegitimierenden Politik Israels, die immerhin die CIA im Jahre 2009 dazu brachte, dem Land - bei Fortsetzung seiner bisherigen Politik - den Untergang in spätestens 20 Jahren vorauszusagen.
Jürgen Jung
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