Sehr geehrte Damen und Herren,
die katholische Kirche ist ungemein reich an materiellen Gütern, aber arm wenn es um die wirkliche Verankerung des Glaubens bei den Menschen geht.
Ich bin Zeit meines Lebens ein gläubiger Katholik.
Die alten Männer im Vatikan haben mich bisher nicht davon abbringen können, an Gott zu glauben.
Aber die Probleme der katholischen Kirche sitzen nicht nur in Rom.
Die Seelsorge in den Pfarrgemeinden, eigentlich ein Kernelement der Stellenbeschreibung des priesterlichen Berufes (bzw. der priesterlichen Berufung) kommt seit Jahren zu kurz.
Ich kann mich an meine Kindheit erinnern, als unser Pfarrer mehrere Male im Jahr alle Gemeindemitglieder zu Hause besuchte, und wenn er sich nur nach deren Befinden erkundigte.
Bei den Gläubigen kam diese Aufmerksamkeit gut an.
Den Priestern begegnete man damals mit viel Respekt.
Heute bleibt den Pfarrern unter anderem wegen des auch in der Kirche stetig steigenden bürokratischen Aufwands und der immer größeren Pfarrgemeinden, die sie wegen des akuten Priestermangels zu betreuen haben, für diese wichtige Aufgabe häufig zu wenig Zeit.
Als ich vor rund 40 Jahren als junger Mensch in Bayreuth meine erste eigene Wohnung bezog, dauerte es nur wenige Wochen, bis mich ein Kaplan besuchte, um sich und die Pfarrgemeinde vorzustellen.
Ich hatte diese Geste sehr wertgeschätzt und gerne regelmäßig den Gottesdienst besucht.
Als sehr wohltuend und respektvoll empfand ich es auch, wenn ich dem Pfarrer in der Stadt begegnete und dieser sich die Zeit nahm, mit mir einen kleinen Plausch zu führen.
Ich bin in den darauffolgenden Jahren noch mehrmals umgezogen.
Ein Pfarrer hat mich seither nicht mehr begrüßt, obwohl ich bis vor wenigen Jahren ein regelmäßiger Kirchgänger war.
Heute kann ich mich zeitweilig des Eindrucks nicht erwehren, dass manchem „Hirten“ die eigene Karriere wichtiger ist als das Wohl seiner sogenannten „Schäfchen“.
In den vergangenen zweitausend Jahren ist vieles untergegangen.
Die katholische Kirche jedoch besteht noch.
Auch weil sie sich nicht dem jeweils aktuellen Zeitgeist unterworfen hat.
Die Kirche sollte sich nicht von dem leiten lassen, was gerade ankommt, sondern sie muss verkünden, worauf es ankommt.
Ansonsten wird sie beliebig und austauschbar.
Dies schließt Reformen jedoch nicht aus.
Der Zugang von Frauen zum Priesteramt wäre meines Erachtens ein wichtiger und richtiger Schritt.
Aber das Beispiel der evangelischen Kirche zeigt, dass dadurch das Kernproblem nicht gelöst wird.
Denn der Glaubensverlust in Europa und insbesondere in Deutschland ist kaum noch aufzuhalten.
Die Zukunft der Kirche liegt in anderen Ländern, vor allem im konservativ geprägten Lateinamerika.
Dort empfindet man die deutschen Reformvorschläge als eher abwegig.
Deutschland ist nicht der Nabel der Welt, auch wenn - nicht nur in der alternativen Kirchenbewegung, sondern vor allem in der Politik - viele glauben, „die Welt müsse nach dem deutschen Wesen genesen“.
Die Gottesdienste werden mehrheitlich nur noch von älteren Menschen besucht.
In einigen Jahren könnten die Kirchen beinahe vollständig leer sein, denn jungen Menschen erscheint der Glaube und die Kirche zunehmend fremdartig.
Dann dürfte den Priestern vielleicht wieder mehr Zeit bleiben, um sich ihrer eigentlichen Kernaufgabe zu widmen.
Freundliche Grüße
Alfred Kastner