Stuttgarter Zeitung vom 22.10.2020 wie Bild
Mein Problem ist, dass ich aus den zur Corona Pandemie vorliegenden Zahlen sowohl die Verweigerer, als auch die Befürworter herauslesen kann.
Das verwirrt mich, weil ich, je nachdem welche Interpretation ich mir herausnehme, beide verstehe und, je nach Emotionslage, mal eher die vielen Toten oder dann auch eher mal die wenigen Toten sehe. Also was jetzt? Viele? Oder wenige? Ich weiß es nicht. Und so fürchte ich manchmal die Toten und manchmal die Folgeschäden, obwohl ich doch beides fürchten sollte und auch wollte.
Leider ist nirgendwo Hilfe. Zuspruch erhalte ich nur in der jeweiligen Schublade. Und in beiden Schubladen ist das Verstehen der Fakten und Zahlen von der emotionalen Ausgrenzung der anderen Schublade so überlagert, dass meine interne Hassbremse die Hinwendung zu beiden Lösungen verhindert.
Das in solchen Situationen früher wichtige Instrument der These und der Antithese, zur Erzeugung einer Synthese, ist verloren gegangen. Nirgendwo finde ich z.B. den Virologen Drosten konfrontiert mit dem Virologen Wodark zur Klärung der Sichtweisen. Nirgendwo.Immer nur Drosten mit den Mächtigen und den Medien und Wodark mit dem Internet und machtlosen Querschwurblern.
Und so irre ich in Fakten herum, die wohl beide alternative Fakten sind, was selbstverständlich beide Schubladen höchst entrüstet zurückweisen, so dass ich manchmal von allen, auch von mir selbst, für blöde gehalten werde.
Schöne neue Zeit: Spaltungsgesellschaft. Modische.
So help us god. Der lässt wenigsten mit sich reden. Auch wenn er zur Impfung gegen den Teufel keine Ablassbriefe mehr verkauft. Oder doch?
Michael Maresch