Das Virus ist flexibler als unsere Gesundheitsämter
Der Artikel "Drei Männer und ihre komplizierten Wege zum Corona-Test" von Jonas Hirt vom 31. Oktober (Badische Zeitung) beschreibt drei Einzelschicksale, die aus meiner Sicht als langjähriger Leiter und Verantwortlicher für das Qualitätsmanagement im öffentlichen Dienst, durchaus verallgemeinert werden dürfen.
Viele Leiter von Gesundheitsämter, Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte sollten sich die Bedingungen, unter denen das Personal der Gesundheitsämter arbeitet, einmal genauer und vor allem mit einem kritischen Blick auf die Abläufe und die unsägliche Regelungswut - der hausgemachten und der von übergeordneten Stellen - ansehen und eingreifen. Was die drei Männer erlebt haben und sagen, deckt sich fatal mit Beschreibungen in Leserbriefen und in Interviews in anderen Medien. Besonders beeindruckt haben mich die Aussagen "Es ging (Anm.: den Behördenmitarbeitern) nicht darum, dass möglicherweise ein Mensch herumläuft, der andere infizieren könnte" und "So kann man nicht mit einer todbringenden Krankheit umgehen."
Auch wenn wir alle verstehen, dass die Ämter eine gewaltige Last von heute auf morgen aufgebürdet bekamen, so sollten wir dennoch nicht akzeptieren, dass bürokratisches Denken, Hemmnisse und Routinen von gestern qualitativen Veränderungen im Wege stehen. Es kostet Leben, wenn nicht flexibel, schnell und ohne lange Debatten alle möglichen Chancen ergriffen werden, um das Virus, das flexibel, schnell und unberechenbar ist zu bekämpfen.
Warum nutzen wir nicht das Angebot von Bürgern, bei der Nachverfolgung ehrenamtlich mitzuhelfen?
Gerade weil wir nicht über die technischen Mittel zur Nachverfolgung, wie z.B. Taiwan, verfügen, müssen wir uns etwas einfallen lassen um so nahe wie möglich an 100% Nachverfolgung zu kommen. Mit dem erfolgreichen Einsatz der Bundeswehr kann nicht auf Dauer und überall gerechnet werden. Schon jetzt zeigen die Zahlen von Kommunen bzw. Landkreisen, die früh (und effektiv) die Bundeswehr eingesetzt haben eine deutliche Senkung der Inzidenzdaten gegenüber denen, die dies 8 bis 14 Tage später getan haben - während der Sinn und Unsinn von harten und detaillierten Einschränkungen aufgrund komplexer Zusammenhänge kaum gemessen werden kann.
Meine Erfahrungen und jüngsten Analysen veranlassen mich geradezu, darauf hinzuweisen, dass die Gesundheitsämter dringend ihre bisherigen Strategien ändern müssen. Tun sie dies, dann werden wir viele Freiräume – in den kommenden Wellen - erhalten können, die gern von Vertretern von Härte und Moral zur Disposition gestellt werden.
Ich würde mich selbstverständlich freuen, wenn die Fakultäten der Sozialpsychologie und der Politikwissenschaften unserer Universitäten die Virologen mit Wirkungsanalysen unterstützen würden. Die Wolkenschiebereien in den Talkshows und die Begründungsketten für das Nichthandeln verlieren langsam aber sicher ihren Unterhaltungswert.
Ich habe Ihre Zeitung abonniert weil Sie den Mut hatten entgegen den gestylten offiziellen Verlautbarungen Dinge sichtbar zu machen, die, wenn sie ernst genommen werden, Leben retten werden.
Ich würde es begrüßen, wenn Sie den Mut hätten, einmal zu hinterfragen, warum die Ämter sich gegen den Einsatz von Ehrenamtlichen sperren und damit eine notwendige öffentliche Diskussion in Gang bringen würden.
Mit freundlichem Gruß
Günther Kirchner