J’ai honte – Offener Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin.
Ich bin zutiefst beschämt, Deutscher zu sein.
Am 4. März hat die Bundesregierung den Export von Schutzausrüstung verboten, obwohl sie in Italien dringend benötigt wurde. Zurecht klagen uns die Italiener an, arrogant und selbstsüchtig zu sein. Zwar kann es dazu kommen, dass wir die Schutzausrüstung selbst benötigen, aber einstweilen wird sie halt in Italien und Spanien benötigt, um Leben zu retten. Im privaten Bereich würde das wohl den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung erfüllen.
Hier muss dringend nachgesteuert werden, denn noch immer ist die Krise in Südeuropa viel schwerer als bei uns. Schicken Sie endlich Beatmungsgeräte nach Italien, Spanien, Frankreich und nach New York!
Natürlich haben die Italiener nicht gut vorgesorgt. Auch die Amerikaner nicht. Aber die Amerikaner haben auch nach dem zweiten Weltkrieg nicht danach gefragt, wer den denn eigentlich angezettelt hatte.
Und Frankreich ist wohl deshalb die Grande Nation, weil sie nach unserem Angriffskrieg und Besatzung durch Nazideutschland die Hand in Freundschaft ausgestreckt hat. Können wir unseren Freunden in Frankreich unsere Hilfe verweigern, nur weil wir vielleicht – vielleicht! – selbst bald in die Bredouille geraten könnten? Ist es das, was die Christlich Demokratische Union unter Nächstenliebe versteht?
Und auch beim Wiederaufbau der Wirtschaft will Deutschland nicht helfen, jedenfalls nicht, wenn es wehtut. Schließlich haben die Italiener ja nicht gut gewirtschaftet und sind selbst schuld, wenn sie das so hart trifft. Aber darf ich daran erinnern: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ (Markus, 10,25)
Die Hilfe für unsere Freunde in Italien, Spanien und Frankreich ist keine Frage der guten Haushaltsführung in der Vergangenheit oder in der Zukunft, sondern eine Frage der Nächstenliebe, der Solidarität, der Brüderlichkeit.
Die Schande des Völkermordes durch die Nazis lastet ewig auf uns Deutschen. Bitte fügen Sie dem nicht noch die Schande der verweigerten Hilfe in der Not hinzu.
Ich fordere Sie auf, den Solidaritätsbeitrag nicht abzuschaffen und stattdessen für den Wiederaufbau der Wirtschaft in den am schlimmsten von der Coronakrise betroffenen Ländern einzusetzen.
In tiefer Scham
Bernd Leinenbach, Lüneburg