Brief an Frau Petry
- von Dr. Ulrike Mertz
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das sehr "geehrte" schenke ich mir, denn wenn ich es schreibe, dann meine ich es auch so. In Ihrem Falle meine ich es nicht. Im Gegenteil, ich schäme mich, schäme mich Deutsche zu sein, seit Sie und Ihre Gesinnungsgenossen sich als geistige Brandstifter betätigen.
Ihre Beweggründe dafür kann ich mir nicht vorstellen. Möglicherweise sind Sie zu jung, um zu begreifen, was wir Deutschen in unserem Hass auf "die Fremden", auf "die Juden", auf "die anderen" angerichtet haben. Mutmaßlich sind Sie eitel und wollen in der Öffentlichkeit stehen und dafür ist Ihnen jedes Mittel recht.
Mit meinen 67 Jahren erinnere ich mich mit Erschrecken an meine Kindheit und meine Ängste im Kalten Krieg. Ich erinnere mich an meine Jugend, als mir bewusst wurde, dass mein Vater, dass meine Eltern zu den Tätern, nicht zu den Opfern gehört haben. Ich erinnere mich gut an die Zeit meines Erwachsenenseins und das Aufatmen und den Stolz, die ich empfand bei dem Gedanken, dass "wir Deutschen" aus der Geschichte gelernt hätten. Dass wir uns geändert hätten, dass wir weltoffen, tolerant und klug geworden seien. "Wir", so empfand ich es, konnten trotz unserer Vergangenheit wieder erhobenen Hauptes sagen, aus welchem Land wir stammten.
Jetzt muss ich im Alter sehen, dass dies eine Illusion ist. Dass junge Menschen wie Sie meinen Glauben und meine Hoffnungen mit Füßen treten. Ich habe mich für die Generation meiner Eltern und Großeltern schämen müssen. Jetzt schäme ich mich für die Generation, die meine Kinder und Enkelkinder sein könnten.
Ich schäme mich für mich, dass ich nicht mutiger gegen Sie und Ihresgleichen auftrete.
Ulrike Mertz
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