Der türkische Politiker verfügt über einen charakterlichen Defekt, der die meisten Staatschefs der Welt auszeichnet: sie sind unwillig – oder unfähig – zwischen gegensätzlichen Kräften in der Gesellschaft ihrer Staaten ausgleichend und versöhnend zu wirken. Herr Erdogan ist ein Paradebeispiel. Nun hat wieder ein Anschlag mit 28 Toten in Ankara stattgefunden. Die Schuldigen stehen bereits vor einer gründlichen Aufklärung des Falles fest. Die üblichen Verdächtigen sind die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und ihr bewaffneter syrischer Ableger YPG. Der Ministerpräsident Davutoglu kündigt keine gründliche Aufklärung, sondern Vergeltung an. Eigentlich sind ja Recht und Unrecht Kriterien des Rechtsstaates. In der Türkei sind sie längst durch das Karussell von Rache und Vergeltung ersetzt worden, das den Tod des inneren Friedens einer Gesellschaft herbeiführt. Vermutungen werden zur Grundlage juristischer Entscheidungen. Die zunehmende Unruhe in der Türkei dürfte den Abschluss und die Umsetzung eines Vertrages zwischen der EU und der Türkei über Flüchtlingsbewegungen nicht unwesentlich erschweren. Die weltweite Verwilderung des Rechts nimmt damit ihren Fortgang wie der Wildwuchs in einem Garten, der keinen Gärtner mehr zu Gesicht bekommt. Nur ein mit großer internationaler Autorität ausgestatteter Vermittler kann vielleicht in jahrelanger mühsamer geduldiger Arbeit den Jahrtausendkonflikt zwischen Türken und Kurden lösen. Voraussetzung ist jedoch, dass beide Konfliktparteien das überhaupt wollen. Die Bundeskanzlerin hat der Türkei Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus zugesagt. Das kann teuer werden. Die Bundeskanzlerin sollte darauf achten, dass Deutschland sich nicht übernimmt. Deutschland hat Israel bereits einen Blankoscheck ausgestellt mit der Erklärung „Das Existenzrecht Israels ist Bestandteil der deutschen Staatsraison.“ Das kann im Falle eines israelisch-arabischen Krieges den Einsatz der gesamten Bundeswehr im Nahen Osten erforderlich machen. Otfried Schrot
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