Heute vor 200 Jahren röhrten die Hirsche, nicht auf einer Waldwiese, sondern auf dem Schlachtfeld von Waterloo,
nämlich Napoleon, Wellington und Blücher, und produzierten 47 000 Tote. Das Ergebnis dieser Schlacht veranlasste
Napoleon, sich als Verlierer vom Schlachtfeld zurückzuziehen und künftig die Finger von der Macht zu lassen. Seit
Waterloo ist viel Zeit verstrichen. Vieles ist besser geworden. Wir haben auf Grund einer besseren medizinischen
Versorgung eine höhere Lebenserwartung. Unser Leben ist bequemer geworden. Wir haben auf Grund zahlreicher
technischer Erfindungen die Möglichkeit, im Alltag unsere körperlichen Anstrengungen zu verringern. Eines aber hat sich
seit der Steinzeit nicht verändert: die menschlichen Manieren. Heute röhren die Hirsche wieder, Obama und Putin, die
NATO und Russland, und bedrohen sich mit Krieg. In Anbetracht der Tatsache, dass die Nuklearmächte ein
Atomwaffenpotential haben, mit welchem die Besitzer die Menschheit und ihren Lebensraum mehrfach vernichten
können, stellt sich die Frage, welchen Sinn das Ganze noch macht. Wir wissen doch aus Erfahrung, dass Drohungen
nicht abschrecken. Wir wissen vielmehr, dass der Bedrohte durch Nachrüstung das eigene Bedrohungspotential
regelmäßig vergrößert. Am Ende dieser Eskalation genügt ein Funke, und das Pulverfass fliegt in die Luft.
Während der Berlin – Krisen und in der Kuba – Krise befand sich die Menschheit wiederholt am Abgrund der Vernichtung.
In der gegenwärtigen spannungsgeladenen Atmosphäre basteln verantwortungslose Politiker, die in einer
Nervenheilanstalt besser aufgehoben wären, erneut an der Modernisierung der Kernwaffen, statt den
Atomwaffensperrvertrag von 1968 endlich zu respektieren und die Dinger verschwinden zu lassen.
Schachspieler wissen es besser und können es besser. Sie röhren sich nicht an und benutzen keine Atomwaffen, um dem
Gegner mit ihnen zu drohen und so das Spiel zu gewinnen. Sie lösen den Konflikt völlig geräuschlos unter Anwendung geistreicher und feinsinniger Regeln.
Herr Obama und Herr Putin: seit der Steinzeit sind viele nützliche Dinge erfunden worden, bis hin zum i – phone, zum
Smartphone und zum Tablet – PC, alles Dinge, die nicht so dringend benötigt werden wie ein international anerkanntes
Verfahren zur gewaltlosen Lösung von Konflikten, welches alle Kriege überflüssig macht.
Wie wäre es denn, wenn Sie beide eine internationale Kommission von Kommunikationswissenschaftlern zusammenstellen
und diese beauftragen würden, im Geiste des Schachspiels ein Konfliktlösungsverfahren zu konzipieren, das künftig
weltweite Anwendung findet?
Auf dem Wege zu diesem Ziele könnten Sie beide sich doch bitte daran gewöhnen, Ihre Konflikte dem Internationalen
Gerichtshof, dem Internationalen Strafgerichtshof oder dem Internationalen Seegerichtshof zur Entscheidung vorzulegen,
statt sich weiterhin mit Fäusten und Ellenbogen durch die Weltgeschichte zu“ rempeln und zu prügeln“. Voraussetzung
dafür sind natürlich die Ratifizierungen durch Ihre Parlamente, soweit Sie beide diese bisher verweigert haben.
Und falls Sie beide es mit einem Krieg NATO gegen Russland ganz eilig haben, so richten Sie doch bitte auf dem
Territorium eines neutralen Staates – z.B. in Singapur – ein politisch/militärisches Lagezentrum ein, in dem
Generalstabsoffiziere der NATO und Russlands an Computern ein simuliertes Kriegsspiel gegeneinander durchführen,
unter Zuhilfenahme von z.B. indischen, thailändischen und brasilianischen Generalstabsoffizieren als Schiedsrichtern –
ohne Produktion eines einzigen Toten! Dann kann die Welt auf die röhrenden Hirsche und deren Bedrohungsszenarien
verzichten.
Otfried Schrot
Autor des Buches „Zwanzig Appelle eines Zornigen an die Welt“