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Leserbrief zu „Aufbau Nahost“ (Leitartikel vom 5. 8., S. 4)                                                                          
Peter Münch konzediert immerhin, dass Israel einen „Paradigmenwechsel“ vollziehen, also einsehen muß, „dass weder Abschreckung noch das Konzept des Teilens und Herrschens im Umgang mit den Palästinensern dauerhafte Sicherheit gewähren“.
Dann aber unterwirft er sich doch wieder dem zionistischen Diskurs, dem sich die westliche Politik samt Medien weitgehend angeschlossen haben, indem er die Hamas als den „ungeeigneten Partner für die Umsetzung des ambitionierten Plans“ erklärt.
Dabei ignoriert er – wie unsere Leitmedien generell, ganz zu schweigen von unseren Politikern - nicht nur, dass die „extremistische“ Hamas die mit überwältigender Mehrheit frei gewählte Regierung der Palästinenser – also nicht nur im Gazastreifen - ist, sondern vor allem, dass sie sich in ihrer praktischen Politik schon längst von ihrer Charta entfernt hat, in der immer noch zur Zerstörung Israels aufgerufen wird.
Eine ähnlich lautende Formulierung in der Charta der Fatah hat bezeichnenderweise den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Itzhak Rabin Anfang der 90er Jahre nicht daran gehindert, mit ihr in Verhandlungen einzutreten.
Zum anderen hat die HAMAS – abgesehen von zahlreichen entsprechenden Äußerungen ihrer Führer - zumindest viermal offiziell dokumentiert, dass sie einverstanden ist mit einem Staat in den besetzten Gebieten, auf gerade einmal 22 Prozent Palästinas, damit also sehr wohl bereit ist, Israel – zumindest indirekt – anzuerkennen.
  1. hat sie die Saudi-Initiative von 2002 unterschrieben, mit der alle 23 Staaten der Arabischen Liga Israel die Anerkennung und normale Beziehungen anboten, sofern es sich aus den besetzten Gebieten zurückzieht.

  2. findet sich eine inhaltlich gleiche Formulierung im Wahlprogramm der Hamas von 2005 und

  3. im Regierungsprogramm von 2006. Und schließlich

  4. wäredie jetzige Einheitsregierung ohne diese Kompromissbereitschaft der Hamas, die an Selbstaufgabe grenzt, gar nicht zustande gekommen.

Mit der Bildung der Einheitsregierung käme der rechts-extremistischen Regierung in Israel allerdings der dringend benötigte Feind abhanden, ein stets willkommener Vorwand für militärische Übergriffe, die das Leben der Palästinenser immer wieder auf den Kopf stellen. Es sei an die Äußerung des ehemaligen Shin-Bet-Chefs (von 1980 – 1986) Avraham Shalom erinnert, der (im Dokumentarfilm „Schieße zuerst“, letztes Jahr in der ARD gesendet) die israelische Armee als „eine grausame Besatzungsarmee“ bezeichnete, „die an die Deutschen im 2. Weltkrieg erinnert. Das ist ein sehr negativer Charakterzug, den wir da übernommen haben, .... als wir grausam wurden gegenüber uns selbst, besonders aber gegenüber der Bevölkerung, über die wir herrschen. Und das alles unter dem Vorwand [!] des Krieges gegen den Terror .“
Die israelische Armee lässt sich ganz offensichtlich von der sog. „Dahiya-Strategie“ leiten. Im Libanon-Krieg von 2006 – bei dem 15 000 tote Libanesen zu beklagen waren und der halbe Libanon verwüstet wurde  hatte die „moralischste Armee der Welt“ einen südlichen Vorort von Beirut, Dahiya, wo die Hisbollah großen Rückhalt in der Bevölkerung hatte, dem Erdboden gleichgemacht. In der Folgezeit sprachen israelische Offiziere von der „Dahiya-Strategie“. Der Oberst der Reserve, Gabriel Siboni, vom Israelischen Institut für Nationale Sicherheitsstudien erläuterte diese Strategie so: „Im Fall von Feindseligkeiten muß Israel sofort, entscheidend und mit einer Kampfkraft außerhalb jeder Proportion reagieren… Eine solche Antwort zielt darauf ab, Schaden zu verursachen und Strafe auszuteilen in einem Ausmaß, das einen lang andauernden und kostspieligen Wiederaufbau erfordert.“ Das ist die  glasklare Umschreibung eines Kriegsverbrechens.
Israelische Soldaten - in BREAKING THE SILENCE („Das Schweigen brechen“) zusammengeschlossen -  haben detailliert bezeugt, dass genau diese Blitzkrieg-und Blutbad- Strategie dann auch beim Massaker von 2008/9 galt, das 1500 palästinensische und ganze 13 israelische Opfer hinterließ.
Beim gegenwärtigen Massaker, der zweiten weitgehenden Zerstörung der Infrastruktur Gazas innerhalb weniger Jahre, ist diese Strategie ganz offensichtlich erneut umgesetzt worden.
Letztendlich  wird die israelische Politik immer noch vom ursprünglichen zionistischen Ziel bestimmt, nämlich  – in den Worten des wichtigsten zionistischen Politikers überhaupt, David Ben-Gurion: „Ganz Palästina als jüdischer Staat“ (1947). Siehe die andauernde völkerrechtswidrige Siedlungspolitik, die Diskriminierung, Enteignung, Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung innerhalb und außerhalb der Grenzen von vor 1967.
Genau das, was der „radikal-islamistischen Terror-Organisation“ Hamas projektiv unterstellt wird, ist also Movens der israelischen Politik. Analog könnte man die Regierung Israels mit Recht als „radikal-zionistisches Terror-Regime“ bezeichnen. Auch von den Opferzahlen her ist das gerechtfertigt. Israel hat im Lauf der Jahrzehnte mindestens zehn mal so viele Palästinenser getötet wie umgekehrt.
Die Erwartung, daß die Hamas diese hier notgedrungen nur umrissene Politik Israels, die unmenschliche und klar völkerrechtswidrige Blockade des Gazastreifens (mit der Folge, dass 80 Prozent der Bevölkerung von Nahrungsmittelhilfen der UNO abhängig sind) widerstandslos hinnimmt, ist schlicht wirklichkeitsfremd, um nicht zu sagen abwegig.

Jürgen Jung, 6. 8. 2014
salamshalom-ev.de
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