Überall Demokratie - Nie wieder Krieg – nirgendwo
Kriegsopfer-Perspektive: Am 12. September 1944 starben meine Großeltern, der Verlobte meiner Mutter und nahezu ihre gesamte Verwandtschaft sowie viele Freunde in Stuttgart – bei lebendigem Leibe verbrannt durch Brandbomben der Alliierten. Die verkohlten Überreste meiner Großmutter wurden bestattet, vom meinem Großvater blieb nichts mehr übrig, was hätte beerdigt werden können. Das „Ehrenfeld“ auf dem Stuttgarter Hauptfriedhof ist heute in erbärmlichem Zustand – von Wühlmäusen unterhöhlt, ohne Würde, ohne Erinnerungskultur. Es ist ein Sinnbild für das kollektive Vergessen. Aber wir dürfen nicht vergessen.
Verantwortung übernehmen - jetzt
In den 1960er, 70er, 80er Jahren gingen wir in der BRD auf die Straße – gegen den Vietnam-Krieg, gegen Atomwaffen, gegen den „Kalten Krieg“, gegen das Vergessen, für Solidarität, für Abrüstung. Mutlangen, Pershing II, die Friedensbewegung, Arbeiter-Demonstrationen – das war gelebte Gemeinschaft. Und die Freude der Hippie-Bewegung. Heute dagegen dominieren Egozentrik, entfesselter Kapitalismus, Gleichgültigkeit. Die soziale Marktwirtschaft wurde durch Marktideologie ersetzt, Arbeitsleistung zum reinen Rechenfaktor, Menschen zur „Nummer“, zum Objekt. Wer nicht mehr erinnert was Menschlichkeit bedeutet, dem ist alles egal, jedes Mittel recht, Ausbeutung und dann Abfall. Menschen werden zudem aus puren Kalkül, aus Machtgier, Habsucht und ganz niedrigen Beweggründen getötet, besonders in Kriegen. Wo bleibt unser Aufschrei?
Der VdK war einmal anders
Der Sozialverband VdK war einst eine starke Stimme für Kriegsopfer und Kriegsdienstverweigerer. Er beriet junge Männer, die nicht töten wollten – aus Gewissensgründen. Heute ist der VdK mit über 2,3 Millionen Mitgliedern der größte Sozialverband Deutschlands – aber seine friedenspolitische Stimme ist verstummt. Wir sollten ihn an seine Wurzeln erinnern. Es gibt keine bessere und größere Organisation und fast keine erfahrerenen Menschen, um das Gespräch über Frieden neu zu beginnen, als bei denen, die das Leid aus erster Hand kennen. Die monatliche Mitgliederzeitschrift des VdK hat eine riesige Auflage, über eine Million Exemplare – sehr gut geeignet um die Menschen wachzurütteln.
Demokratie muss erneuert werden
Parteien haben sich zu Machtapparaten verselbständigt. Wer heute wählt, hat das Gefühl, dass sein Kreuz nichts zählt. Meine persönliche Forderung: Wer in einem Wahlkreis die meisten Stimmen bekommt, soll ins Parlament – keine Listen, keine taktischen Rechenspiele. Wir brauchen endlich Wahlgesetze, die dem Namen Demokratie gerecht werden. Und wir brauchen Medien, die dieser Demokratie dienen – nicht als Sprachrohr von Macht und Kapital, sondern als Spiegel der Bevölkerung. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sich an seinen gesetzlichen Auftrag halten, ausgewogen, umfassen und neutral berichten. Und: Wir haben das Recht – und meines Erachtens die Pflicht – den Rundfunkbeitrag zu kürzen. Sinnlose Maximalforderungen auf Abschaffung müssen weiterhin scheitern - und wären auch absolut kontraproduktiv. [Anm.: Aufgrund meiner Behinderung bin ich von der Gebührenpflicht befreit, sonst würde ich handeln – und sicher erfolgreich prozessieren; Beweismittel über Media Tenor].
Schwarmintelligenz statt Schweigen
„Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.“ Dieser Satz ist aktueller denn je. Schweigen ist Zustimmung. Und Gleichgültigkeit der beste Nährboden für Machtmissbrauch. Wenn wir die Gefahr eines Atomkriegs verhindern wollen, müssen wir laut werden. Wenn wir eine solidarische Gesellschaft wollen, müssen wir uns einmischen. Wenn wir Mitbestimmung wollen, müssen wir Demokratie fordern – Begrenzung der Macht der Mächtigen, das war und ist der Sinn von Demokratie. Sicher hilft uns dabei die „Schwarmintelligenz“ der Vielen – aber nur, wenn die Vielen endlich aufstehen.
Offene Briefe schreiben
Lasst uns die Lehren der Vergangenheit begreifen, um die Zukunft zu schützen. Lasst uns zusammen – beispielsweise mit dem VdK (www.vdk.de) und der Friedensbewegung – unsere Grundrechte reaktivieren. Lasst uns dafür sorgen, dass Erinnerung nicht nur Gedenktafel ist – sondern politisches Handeln. Nicht „nur“ Leserbriefe schreiben, sondern auch „Offene Briefe“, Wut-Briefe, an Entscheider und Organisationen – und sie zusätzlich hier in die Bürgerredaktion einreichen. Jetzt.
Jörg Stimpfig