Donaukurier am 30.1.2024 Seite 12. wie Bild
Militärisch ist Russland nicht zu besiegen… …
es sei denn, wir nehmen einen Atomkrieg in Kauf. Wollen wir das? „Vielleicht wird es der späte Historiker noch rätselhafter finden als wir Zeitgenossen“, schriebt Erich Fromm 1937, also nach der Erfahrung des ersten und am Vorabend des zweiten Weltkrieges „dass, obwohl allmählich fast jedes Kind wusste, dass man vor Kriegen stand, die auch für den Sieger das entsetzlichste Leiden mit sich brachten, dennoch die Massen nicht etwa mit verzweifelter Energie alles unternahmen, um die Katastrophe abzuwenden, sondern auch noch ihre Vorbereitung durch Rüstungen, militärische Erziehung usw. ruhig geschehen ließen, ja sogar unterstützten.“ Pistorius, der angeblich zur Zeit beliebteste Politiker, fordert eine allgemeine Kriegstüchtigkeit, um in „fünf bis acht Jahren“ fit zu sein für die große Schlacht gegen China und Russland. Der vermutlich zukünftige Bundeskanzler Merz bläst zum direkten Taurus-Angriff auf Russland, sollte Putin sein Ultimatum, den Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden, nicht erfüllen, und das Institut für Wirtschaftsforschung (IFW) gibt bekannt, dass dieser Krieg die deutsche Wirtschaft bisher bereits weit über 200 Milliarden Euro gekostet hat. Kein Problem, meint die Regierung, man kann ja Schulden machen. Es ist wie im Märchen von Des Kaisers neue Kleider. Der Kanzler tut so, als hätte diese gewaltige Finanzierung der Ukraine, keine Auswirkung auf den Bundeshaushalt und als hätten Schulden keine Auswirkung auf die Zukunft. Die Regierung tut so, als könnten die verlorenen Gebiete der Ukraine jederzeit wieder zurückerobert werden und die Medien tun so, als würden sich die Verhandlungsbedingungen der Ukraine verbessern, je länger dieser Krieg dauert. Alle zusammen wiederum tun so, als würden die verhängten Sanktionen Russland mehr schaden als uns. Tatsache ist, Russlands BIP wächst 2024 laut Statista um voraussichtlich 4,1%; Deutschlands BIP dagegen sinkt um 0,1%. Tatsache ist auch, dass die russische Armee täglich an Boden gewinnt, während den Ukrainern buchstäblich die Soldaten ausgehen. 1992 hatte die Ukraine 51,9 Millionen Einwohner; 2023 waren es laut Reuters im ukrainisch kontrollierten Gebiet noch ganze 28 Millionen. Von den jungen Männern, die anfangs freiwillig von 1 2in den Krieg zogen, sind die meisten inzwischen tot oder verwundet. 6,7 Millionen Ukrainer sind ins Ausland geflohen - darunter 650.000 Männer zwischen 18 und 60 Jahren. Die Zurückgebliebenen, die neuerdings auf Grundlage der Generalmobilmachung zwangsrekrutiert und gegen ihren Willen an die Front geschickt werden, erweisen sich - verständlicherweise - als nicht besonders motiviert. „Oberschüler der 10. und 11. Klasse, insbesondere Jungen, haben dieses Jahr (2024) massenhaft die Ukraine verlassen“ (Kyïv1, 12.10.24) . Warum wohl? Sicher nicht, weil es so süß und ehrenvoll ist, für das Vaterland zu sterben. Im Märchen von Hans Christian Anderson bringt ein kleines Mädchen den ganzen Wahnsinn der Erwachsenen am Ende zum Einsturz: „Aber der (König) hat ja gar nichts an!“ Bei uns müsste dieses Mädchen erst noch vom Himmel fallen. Bis dahin hält die rot-grüne Übergangsregierung an ihren unrealistischen militärischen Zielen fest. Statt den Realitäten ins Auge zu blicken und den Bürgern reinen Wein einzuschenken, setzt man trotz der täglichen Verluste an Mensch und Material weiter auf totalen Sieg. Einen Plan B gibt es nicht. Die permanente Illusion ist zur Normalität geworden.
Hans Geißlinger