Emmanuel Macron kann vor Kraft kaum laufen. Nun lädt er sich zusätzlich zum Kampf gegen „Madame Corona“ auch noch den Kampf gegen den Islam auf. Es gibt ein Sprichwort aus antiker Zeit: „Audeatur et altera pars!“(Man höre auch die andere Seite!) Man höre nicht nur den Chefredakteur von „Charlie Hebdo“, man höre auch die beleidigte islamische Welt! Findet Tucholskys Ausspruch „Satire darf alles“ nicht seine Grenzen an dem ersten Satz im deutschen Grundgesetz „Die Würde des Menschen ist unantastbar!?“ Ist gute Satire nicht vielmehr eine Zeichnung, die ein Lächeln des Betrachters hervorruft statt Zorn, Hass und Wut?
Gehört zum Respekt vor der Würde des Menschen nicht auch der Respekt vor seiner Religion? Was haben wir davon, wenn wir religiöse Empörung gleich in die Schublade „Terrorismus“ einordnen und damit den Zorn der Beleidigten weiter aufstacheln? Der Terror wird immer schneller sein als die Ordnungskräfte, die ihn verhindern wollen.
Emmanuel Macron wäre gut beraten, wenn er ein paar tausend Sozialarbeiter in die Slums der französischen Großstädte entsenden würde, die sich vor allem der ohne Familie zugewanderten jungen Männer aus der islamischen Welt annehmen würden, um sie „sozial aufzufangen“, vor allem, wenn sie auch noch arbeitslos sind, bevor sie „auf dumme Gedanken kommen“. Es wäre auch eine gute Idee des französischen Staatschefs, moslemische und christliche Familien zu nachbarschaftlichen Gesprächskreisen mit dem Ziel von Familienpatenschaften zusammenzuführen. Man sollte endlich anfangen, es für möglich zu halten, dass Terror auch die Folge des ungeschickten und einfallslosen Umganges politischer Führer mit ihrer Bevölkerung sein kann und nicht allein eine Frage des Versagens von Geheimdiensten, die den „Bösewichten“ zu spät „auf die Schliche“ kommen.
Erdogan, der mit Trump „in eine Schublade“ gehört, hat das Bekenntnis Macrons zur Meinungsfreiheit von „Charlie Hebdo“ natürlich als Steilvorlage für die Erreichung seiner eigenen politischen Ziele benutzt und sich zum Sprecher der beleidigten islamischen Welt gemacht. Möge diese Eskalation nicht zu weiteren Terrorakten in Frankreich führen! Möge Emmanuel Macron auf die Idee kommen, das Motto der französischen Revolution, das da lautet „Liberté, Egalité, Fraternité“, um ein Wort zu erweitern, das da lautet „Dignité“!
Otfried Schrot