Ausgerechnet aus dem Munde eines Russen muss der Satz kommen, den die Westeuropäer mit dem Blick auf Russland zurzeit nicht über die Lippen bringen.
Es gibt viele Verwerfungen zwischen der EU und Russland, sowohl in der Debatte über Menschenrechtsfragen als auch über Putins Besetzung der Krim. Wir Europäer haben dabei allerdings die politischen Prioritäten vollkommen aus den Augen verloren.
Gorbatschow hat es in einem kürzlichen Interview mit der Agentur Interfax auf den Punkt gebracht, was die Priorität 1 zwischen Ost und West ist:“ Die Hauptsache ist heute, einen Atomkrieg zu vermeiden!“
Dazu fehlt etwas. Es gibt ein halbes Dutzend Vereinbarungen zwischen Ost und West über den Umgang mit Atomwaffen, aber noch keine, die einen Atomkrieg mit Gewissheit ausschließt. Dazu fehlen – im internationalen Recht festgeschrieben – zwei Dinge:
1.) Ein Vermittlungsgericht oberhalb der Ebene der Atommächte, dass in jedem Streit zwischen den Atommächten vermittelt und - 2.) einen Vertrag, in dem die Atommächte sich verpflichten, ausnahmslos bei jedem Streitfall untereinander das Vermittlungsgericht anzurufen und dessen Schiedsspruch zu akzeptieren.
Nun zu Putins Besetzung der Krim. Hier tun die NATO – Staaten so, als ob sie vom Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung nichts wissen. Im Falle eines Beitrittes der Ukraine zur NATO hätte die NATO das auf der Krim gelegene Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte eingekreist. Präsident Bush senior dürfte sich dieser Tatsache bewusst gewesen sein, als er die Zusagen Helmut Kohls und seines Außenministers Baker an die Russen verwarf, dass sich die NATO nach der Wiedervereinigung Deutschlands „keinen Zentimeter“ nach Osten bewegen würde, sondern stattdessen die NATO – Osterweiterung in Auftrag gab, die so „überflüssig wie ein Kropf“ war, weil Russland wirtschaftlich am Boden lag. Hier hat die NATO ein schmutziges Spiel gespielt, woran sich heute im Westen niemand mehr erinnern will. Es würde amerikanischen Präsidenten gut anstehen, sich für diesen Wortbruch bei Russland zu entschuldigen.
(Nato-Osterweiterung: Wie der Westen einst Gorbatschow übertölpelte | STERN.de)
Ein anderes Ding, dass die Ost – West – Beziehungen erschwert, ist Putins katastrophale Öffentlichkeitsarbeit. Man hat den Eindruck, dass sein Urmotiv Angst ist. Er verbarrikadiert sich hinter den Kremlmauern. In seinem Umfeld geschehen Morde, Vergiftungen und Verhaftungen unter seltsamen Begleitumständen. Wladimir Putin, seien Sie doch bitte etwas freundlicher, sowohl zu ihren Gegnern als auch zu ihrem Volk und zur ganzen Welt!
Dann können Sie auch erfolgreicher politische Geschäfte machen. Wenn Sie das nicht können und nicht wollen, bezweifelt der Verfasser dieser Zeilen, dass Sie trotz Verfassungsänderungen bis 2036 regieren werden. Jeder ist seines Glückes Schmied – aber auch seines Untergangs.
Sehr geehrter Herr Präsident Gorbatschow, die deutsche Nation verdankt Ihnen viel. Der Verfasser dieser Zeilen wünscht Ihnen noch viele gesunde Jahre und dass Sie die Erfüllung Ihrer noch offenen politischen Wünsche erleben mögen!
Otfried Schrot