Fluten mit Geröll gefährden in Tschechien viele Menschenleben.
Die Erderwärmung lässt die Menschen kalt, bis ihnen das Wasser bis zum Halse steht wie jetzt in Osteuropa. Wie soll sich das nur ändern?
Das Wasser steht uns bis zum Hals – längst hat dieser Satz in Zeiten des Klimawandels seine Funktion als Metapher aufgegeben, um nunmehr als Tatsachenbeschreibung zu dienen. Seit Jahren warnen Klimaforscher vor massiven Schäden durch Starkniederschläge als Folge der globalen Erwärmung. Ausgelöst durch Emissionen, für die der Mensch hauptverantwortlich ist – und nicht durch natürliche Ursachen wie Sonnenzyklen, wie Klimawandel-Leugner gerne behaupten.
Wenn Österreich nun den Untergang fürchtet, dann kann auch hier nicht mehr eine Bildsprache gemeint sein, dass das Land wie einst das Habsburgerreich einen politischen und staatlichen Umbruch erlebt, sondern faktisch handelt es sich um eine Flut, die den Osten des Landes in zerstörerischer Weise heimgesucht hat.
Während Osteuropa mit den Wassermassen zu kämpfen hat, feiern zeitgleich in weiten Teilen Europas Rechtsextreme Erfolge, auch gerade weil sie auf ihren Wahlplakaten von einer Klimalüge sprechen und sich die miefigen Verhältnisse der 50er-Jahre mit Frau am Herd und Mann mit Seitenscheitel zurückwünschen. Ein krasserer Gegensatz zwischen dem Abstreiten von Tatsachen (von der Rechten) und der sie widerlegenden Wirklichkeit (der Flut) kann deutlicher nicht sein.
In den sozialen Medien kursieren bereits Statements, die das Ganze auf den Punkt bringen: „Jetzt ist mir die Klimalüge auch noch in den Keller gelaufen“, schimpft ein Mann auf einer Karikatur, während er auf das meterhohe Wasser blickt. „Das ist kein Hochwasser, das ist die Klimakatastrophe“, schreibt eine Frau auf der Plattform „X“.
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Wir erleben gerade einen Vorgeschmack auf das, was uns in den nächsten Jahren erwarten wird. Wie aber kann es sein, dass Gesellschaften diese reale Gefahr so massiv verdrängen, dass die Politik sogar Maßnahmen zurücknimmt, die dem Klimawandel entgegenwirken sollen? Gerade erst haben sich die Autohersteller auf europäischer Ebene gegen klimapolitische Restriktionen gewehrt, um ihren Absatz nicht zu gefährden.
Wahrnehmungsabwehr ist ein Begriff aus der Psychologie und bezeichnet die Tendenz, bedrohliche oder unangenehme Reize auf einer unbewussten Ebene zu blockieren oder zu verzerren, bevor sie vollständig ins Bewusstsein gelangen. Es handelt sich um einen Mechanismus, durch den die Verarbeitung von Informationen, die als emotional belastend oder bedrohlich empfunden werden, abgeschwächt oder verzögert wird. Diese Form der Abwehr wird in weiten Teilen der Gesellschaft praktiziert, wie es scheint.
Die Wahrnehmungsabwehr steht in engem Zusammenhang mit dem Konzept der Verdrängung, wie es von Sigmund Freud in der Psychoanalyse beschrieben wurde. Freud ging davon aus, dass Menschen unbewusst Informationen verdrängen, die Angst, Scham oder Schuldgefühle auslösen könnten. Bei der Wahrnehmungsabwehr geschieht dies jedoch bereits in der frühen sensorischen Verarbeitung, bevor der Reiz vollständig bewusst wahrgenommen wird. In der Psychologie ist seit langem bekannt, dass Menschen bedrohliche Wörter langsamer oder weniger deutlich wahrnehmen als neutrale oder positive Wörter. Dies gilt auch für visuelle oder auditive Reize, die Angst oder Stress auslösen könnten; sie werden oft unbewusst abgewehrt, so dass die Person sie nicht vollständig bewusst wahrnimmt.
Erleben wir also eine Reaktion, die anders gar nicht sein kann, weil unsere Psyche nun einmal so funktioniert? Tatsächlich sorgt die Passivität der Politik dafür, dass die Zweifel wachsen, dass der Klimawandel, der ja ohnedies bereits im Gange ist, hinreichend gestoppt werden kann, bevor die Katastrophe unabwendbar ist. „Die Entwicklung der letzten Jahre verstärkt meinen Eindruck, dass jede Ernsthaftigkeit in dieser Frage verloren gegangen ist. Man versucht, es politisch möglichst weit aufzuschieben“, sagt der Kölner Soziologe Jens Beckert in einem Interview mit der FR. Er versuchte in seinem 2024 erschienenen Buch „Verkaufte Zukunft“ herauszufinden, warum es trotz jahrzehntelangem Wissen über den Klimawandel nicht gelungen ist, wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der globalen Erwärmung zu ergreifen. Dieses Versagen beruhe, argumentiert er, auf den Macht- und Anreizstrukturen in Wirtschaft, Politik und Konsumgesellschaft. „Angesichts der Tatsache, dass es um die Lebensgrundlagen der Menschen geht, ist diese Klimapolitik ein Skandal. Wir haben keine zweite Welt zur Verfügung. Politik ist verpflichtet, Schaden von dem Volk abzuwenden und für das Wohlergehen der Bevölkerung Sorge zu tragen. Die Unangemessenheit von Klimapolitik kann man nur als Skandal bezeichnen. Das gilt übrigens weltweit“, sagte er in dem FR-Gespräch. Auch der Marburger Professor für Soziologie, Markus Schroer, fragt sich in der „Zeit“, „wie die ausbleibenden Maßnahmen, das Zögern, Zaudern und Zerreden, das Verneinen, Verdrängen und Vertagen der existenziellen Bedrohungslagen zu erklären sind“. Es mangele an Entschlossenheit, was den Ausbau von Windkraft, Solarenergie und E-Mobilität betrifft, und verlegt sich lieber „auf waghalsige Projekte, die unter dem Namen ,Geoengineering‘ firmieren“, so Schroer.
Statt auf moralische Appelle oder einfache technische Lösungen zu setzen, plädiert Soziologe Beckert für einen realistischen Umgang mit der Situation. Er prognostiziert, dass die Erde sich bis zum Ende des Jahrhunderts um 2,5 bis 3 Grad Celsius erwärmen könnte, was nicht nur stärkere Investitionen, sondern auch Anpassungsstrategien erfordere. Beckert will einen Dialog eröffnen und zeigen, dass ein Umdenken in den gesellschaftlichen Strukturen notwendig ist, um langfristige Lösungen zu finden. „Wir brauchen ein funktionierendes Gesundheitssystem, einen funktionierenden Katastrophenschutz in der Klimakrise“, fordert er. „Wenn wir das Problem schnell angehen wollen, geht es derzeit nur über Verzicht. Denn die Transformation weg von der fossilen Energie hin zu erneuerbaren Energien wird nicht schnell genug sein“, sagt Beckert.
Er hat zumindest noch Hoffnung, dass sich etwas bewegen könnte. Der US-Schriftsteller Jonathan Franzen hatte vor einigen Jahren behauptet: „Wir sollten uns nichts vormachen, den Klimawandel werden wir nicht mehr aufhalten können.“ Franzen berichtete, dass er einmal ausgerechnet habe, was eine durchschnittliche amerikanische Familie zum Leben brauche und wie sehr sie sich einschränken müsse, damit dies einen Einfluss auf das Klima habe. Im Grunde seien die Einschränkungen so hoch, dass an ein halbwegs normales Leben nicht mehr zu denken sei. Von der Wachstumsmaxime sollte man sich besser gleich verabschieden. Doch das hält Franzen für so unwahrscheinlich, dass er der Welt den Untergang prophezeit.
Damit steht er nicht allein. Auch in der Wissenschaft werden die Chancen für einen echten Neuanfang als relativ gering eingeschätzt. Rupert Read und Samuel Alexander sind zwei von ihnen, beides hochinteressante Intellektuelle, die diese Frage in Lagerfeuerromantik sehr tiefgründig diskutiert haben. Alexander lehrt Umweltökonomie an der Universität Melbourne, ist Co-Direktor des Simplicity Institute und forscht am Melbourne Sustainable Society Institute. Er zählt zu den weltweit führenden Nachhaltigkeitsforschern und hat zahlreiche Bücher und Aufsätze zu den Themen Postwachstumsökonomie, Konsumkritik und Perspektiven einer nachhaltigeren Gesellschaft und Demokratie veröffentlicht. Read lehrt Philosophie an der University of East Anglia. Ihr Gespräch ist in dem im Meiner-Verlag erschienenen Band „Diese Zivilisation ist am Ende“ nachzulesen. Es geht um die Frage, ob es einen Bewusstseinswandel der Menschen geben kann, der mit den Herausforderungen Schritt hält, die der sich ständig verschärfende Klimawandel an das Leben auf dem Planeten stellt.
Für Read sind drei Szenarien denkbar, was auf die Menschheit zukommen könnte. Das Endspiel sieht so aus: „Unsere Zivilisation bricht zusammen, vollständig und endgültig“, sagt Read. „Die menschliche Spezies verschwindet von der Erde.“ Oder, zweite Möglichkeit: „Es gelingt uns, den Keim für eine Nachfolgezivilisation zu legen, die aus der Asche der zusammenbrechenden alten auferstehen kann.“ Und drittens: „Der Kollaps wird vermieden, weil unsere Zivilisation das Ruder radikal und schnell herumreißt.“ Read erklärt, dass es das dritte Szenario ist, das die alte Umweltbewegung, wie er sie nennt, anstrebt.
Es sei jedoch das unwahrscheinlichste Szenario. Denn selbst wenn Fall drei, das Wunder der sofortigen Umkehr, einträte, wäre er so umwälzend, dass die alte Zivilisation, wie wir sie heute kennen, nicht fortbestehen würde. „Sie würde zwar nicht völlig scheitern, aber doch an ihr Ende kommen“, sagt Read. Er hält das erste Szenario für ebenso wahrscheinlich wie das zweite.
„Die wirkliche Trennlinie in der Politik verläuft heute zwischen denen, die bereit sind, das Ende des Wachstumswahns zu akzeptieren und stattdessen eine Ethik der Vorsorge als neuen Common Sense anzunehmen, und denen, die den Leichtsinn bevorzugen“, erklärt Read. „Zu glauben, dass alles, was auch nur entfernt dem Status quo ähnelt, einfach so weitergehen kann, ist leichtsinnig.“ Wenn wir erst einmal akzeptiert haben, dass diese Zivilisation am Ende ist, sind wir frei, nach einem neuen Anfang zu suchen. „Suchen heißt: die nächste Zivilisation mitgestalten (ob wir dafür durch eine Katastrophe gehen müssen oder nicht). Besser noch: Die Zukunft ruft uns dazu auf.“ Die Alternative sei zu schrecklich, um nicht den Mut aufzubringen, darüber nachzudenken. „Wir stehen vor einem unkontrollierten Zusammenbruch.“
Aber trotz der düsteren Visionen könnte die Politik aus dem Hochwasser noch Kapital schlagen. Das Elbe-Hochwasser 2002 war eine der schwersten Naturkatastrophen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Es verursachte Schäden in Höhe von rund 11,6 Milliarden Euro, wobei Sachsen mit 8,6 Milliarden Euro am stärksten betroffen war. Die Hochwasserkatastrophe erstreckte sich von Sachsen über Sachsen-Anhalt bis nach Norddeutschland und führte zu zahlreichen Evakuierungen und zu einem massiven Hilfseinsatz auch der Bundeswehr und der Hilfsorganisationen.
Die Flut war kein einschneidendes Ereignis in der deutschen Geschichte. Zwar wurden Maßnahmen ergriffen, die ein Hochwasser weniger gefährlich werden lassen sollten. Aber für ein Umdenken in Bezug auf Klimapolitik sorgte sie nicht. Nur einer sollte von seinem Auftritt in Gummistiefeln und Basta-Mentalität profitieren: Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder profitierte in der öffentlichen Wahrnehmung von seinem entschlossenen Krisenmanagement. Das sollte seine Wiederwahl im Herbst 2002 begünstigen. Auch Olaf Scholz wird davon gehört haben. Aber wird man heute mehr Lehren aus dem Hochwasser ziehen als Nutzen für den Wahlkampf? Man darf daran zweifeln.
Manfred Kappler