Um es vorweg zu sagen: Wir dürfen nicht auf unsere Öffentlich-Rechtlichen, auf die Funkhäuser der ARD und des ZDF sowie auf Deutschlandradio/-funk, auf keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunksender, verzichten: das ist meine, wie ich finde gut begründete, Auffassung. Andererseits darf es so nicht weitergehen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) muss meines Erachtens an seine rechtlichen Pflichten erinnert und - falls nötig - mittels Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, bis hinauf zum Bundesverwaltungsgericht, wenn's sein muss bis zum Bundesverfassungsgericht, gezwungen werden, seine Aufgaben zu erfüllen. Vor allem die Gebote der Neutralität, Ausgewogenheit und Vielfalt müssen eingehalten werden.
Maßstab für die Aufgaben des ÖRR sind insbesondere der vorgeschriebene Zweck sowie die Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Es ist nicht rechtmäßig, wenn der ÖRR nicht überparteilich, nicht unabhängig, nicht vorurteilsfrei, sondern voreingenommen und parteiisch agiert.
Die Vorwürfe der Parteilichkeit lassen sich beweisen. Womit? Zum Beispiel mit den neuesten Forschungsergebnissen des Instituts für Publizistik der Universität Mainz, insbesondere jedoch mit den Daten des schweizerischen Forschungsinstituts Media Tenor von Prof. Dr. Roland Schatz, welcher dieses Unternehmen vor dreißig Jahren gegründet hat und bis heute leitet. Das Renommee seiner Kunden und Kooperationspartner spricht Bände - und wären seine Daten "faul", wäre die Kundschaft längst davonlaufen. Keine Frage, dass Schatz von Betroffenen schon öfter angegriffen wurde, das ist nachvollziehbar, wenn er zum Beispiel - wie im Interview mit Prof. Dr. Christian Rieck - verkündet: "ARD und ZDF berichten einseitig." Doch der Wissenschaftler kennt die Fakten und sorgt für Transparenz.
Die Methoden sowie die Ergebnisse der Untersuchungen von Media Tenor sind öffentlich zugänglich, sie können auf der Website des Forschungsinstituts kostenlos eingesehen und - etwa zu Dokumentationszwecken - heruntergeladen werden.
Was jedoch gehört - unter anderem - zu den Vorteilen der ÖRR, der Dienstleister für uns Bürgerinnen und Bürger sein muss, im Vergleich zu den - zwangsweise - rein profitorientierten Privatmedien? "Indem der öffentlich-rechtliche Rundfunk jedenfalls im Wesentlichen öffentlich
finanziert ist, wird er dazu befähigt, wirtschaftlich unter anderen Entscheidungsbedingungen zu handeln. Auf dieser Basis kann und soll er
durch eigene Impulse und Perspektiven zur Angebotsvielfalt beitragen und unabhängig von Einschaltquoten und Werbeaufträgen ein Programm anbieten, das den verfassungsrechtlichen Anforderungen gegenständlicher und meinungsmäßiger Vielfalt entspricht (vgl. BVerfGE 90, 60 (90); 119, 181 (219); 136, 9 (29 f. Rn. 32)). Er hat hierbei insbesondere auch solche Aspekte aufzugreifen, die über die Standardformate von Sendungen für das Massenpublikum hinausgehen oder solchen ein eigenes Gepräge geben", erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung vom 18. Juli 2018. Das BVerfG deutet auf den Unterschied zwischen den
kommerziellen Konzernmedien hin, die aus wirtschaftlichen Gründen keine "Nischenangebote", zum Beispiel in Kunst und Kultur, oder Sendungen für (kleine) Minderheiten, produzieren können. Bei den Öffentlich-Rechtlichen muss es - pflichtgemäß - auch werthaltige Angebote für ältere Menschen, für Menschen mit Beeinträchtigungen, für Kinder sowie "Randgruppen" und dergleichen geben, ohne dabei hohe Einschaltquoten erzielen zu müssen, was naturgemäß in diesen Fällen kaum möglich ist. Aus dem Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2018 zum Rundfunkbeitrag (Zitat): "Die Erhebung einer Vorzugslast ist vielmehr nur dann sachlich gerechtfertigt, wenn die Abgabepflichtigen aus der staatlichen Leistung einen besonderen Nutzen ziehen oder ziehen können (vgl. BVerfGE 14, 312 (317); 137, 1 (22 Rn. 52))." Meines Erachtens stellt das oberste Gericht der BRD klar, dass jeder von uns von den Leistungen der Anstalten der ARD und dem ZDF sowie des Deutschlandradios/-funks Nutzen ziehen können muss, sofern er das möchte.
"In der mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2018 hat der Prozessbevollmächtigte des ZDF zur Wahl des Beitrags durch die Gesetzgeber
ausgeführt, der Rundfunkbeitrag sichere die Staatsfreiheit des Rundfunks und sei den Gleichheitsgrundsätzen entsprechend ausgestaltet" (Zitat aus dem Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2018). Auf den Punkt gebracht: Der ÖRR hat frei von staatlichen, frei von Regierungs - Einflüssen zu sein, neutral und ausgewogen zu berichten, dann - und nur dann - haben wir die Rundfunkanstalten, die uns zu dienen haben, mittels Beiträgen zu finanzieren.
Nochmals zur eindeutigen Klarstellung: Das Bundesverfassungsgericht sagt unmissverständlich, dass der ÖRR Vielfalt und ein ausgewogenes Programm sowie neutrale Informationen bieten muss und andere Maßstäbe als zum Beispiel die Profitmaximierung - wie bei den Privatsendern - anzulegen hat und sich insbesondere (einseitiger) Einflussnahme zu entziehen hat. Zitat aus dem Urteil vom 18. Juli 2018: "Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt im Rahmen der dualen Rundfunkordnung die Erfüllung des klassischen Funktionsauftrags der Rundfunkberichterstattung zu. Er hat die Aufgabe, als Gegengewicht zu den privaten Rundfunkanbietern ein Leistungsangebot hervorzubringen, das einer anderen Entscheidungsrationalität als der der ökonomischen Anreize folgt und damit eigene Möglichkeiten der Programmgestaltung eröffnet. Er hat so zu inhaltlicher Vielfalt beizutragen, wie sie allein über den freien Markt nicht gewährleistet werden kann (vgl. BVerfGE 73, 118 (158 f.); 74, 297 (324 f.); 83, 238 (297 f.); 90, 60 (90); 114, 371 (388 f.); 119, 181 (215 f.); 136, 9 (29 Rn. 31)). Denn der publizistische und ökonomische Wettbewerb führt nicht automatisch dazu, dass in den Rundfunkprogrammen die Vielfalt der in einer Gesellschaft verfügbaren Informationen, Erfahrungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster abgebildet wird. Auch wegen des erheblichen Konzentrationsdrucks im privatwirtschaftlichen Rundfunk und der damit verbundenen Risiken einer einseitigen Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung sind daher Vorkehrungen zum Schutz der publizistischen Vielfalt geboten (vgl. BVerfGE 119, 181 (217); 136, 9 (29 Rn. 31))." Soweit der ÖRR seine pflichtgemäßen Aufgaben nicht erfüllt, leistet er sowohl der Demokratie als auch dem Journalismus einen Bärendienst.
Hofberichterstattung bekommen wir von der Regierung und den Polit-Parteien, dazu benötigen wir keine Journalisten. Einseitige Meldungen, zur Einflußnahme ausgewählte Nachrichten, realitätsverzerrende Berichte und dergleichen mehr sind nicht geeignet, zu unserer unabhängigen Meinungsbildung beizutragen, vielmehr werden wir dadurch manipuliert. Und das ruft die Erinnerung an das Hitler-Regime wach, an die indoktrinierende Propaganda über die Volksempfänger. Ganz genau das sollte über Vier-Mächte-Abkommen verhindert werden: Nie wieder einen "Staatsfunk", der für undemokratische Zwecke missbraucht werden kann. Die paritätisch besetzten Rundfunkräte sollten parteiliche Einflüssen verhindern. Das scheint in der letzten Zeit nicht zu klappen.
Die Bürgerinnen und Bürger der DDR haben früher West-Radio gehört - richtig? Ebenso haben unsere Nachbarinnen und Nachbarn in der DDR West-Fernsehen geschaut - richtig? Weshalb war das so? Weil sie über die wahren Vorgänge in der Welt informiert werden wollten - und nicht über den DDR-Staatsfunk. Die Aufgaben der ÖRR in unserer BRD sind nach wie vor dieselben, die neutrale Information, die Vielfalt und die Ausgewogenheit.
Wir müssen allerdings dafür sorgen, dass die Rundfunkanstalten, dass die Rundfunkräte, ihre Pflichten erfüllen. Wieso sollten wir denn den
Rundfunkbeitrag bezahlen, wenn die Leistungen nicht den Vorschriften entsprechen? Gegen jeden Feststellungsbescheid und gegen jeden
Bußgeldbescheid kann man - fristgerecht - Rechtsmittel einlegen. Den Beweis der Schlechtleistung - bzw. Nichterfüllung - des Auftrags durch die ÖRR-Anstalten kann man meines Erachtens über die Forschungsergebnisse der Universität Mainz und ganz besonders über die Daten von Media Tenor erbringen. Im Zweifel ist anwaltschaftlicher Rat geboten. Die bisherigen Klägerinnen und Klägern haben ihre Klagen - nach meiner Kenntnis - anders begründet, nicht mit dem Vorhalt der Schlecht- bzw. Nichterfüllung der Pflichten zur Neutralität, Ausgewogenheit, Vielfalt und dergleichen. Es lagen dazu ja bislang auch keine neutralen Beweismittel vor - im Gegensatz zu jetzt. Mal sehen, ob und wie der ÖRR auf die Vorhaltungen reagiert und ob er es auf Gerichtsverfahren ankommen lässt.
Jörg Stimpfig