Erschaffen wir unser Glück? Erdulden wir unser Schicksal? Ertragen wir
unsere Schuld? Mich hat der Satz: "Du könntest schon, du willst bloß
nicht!", schon von jeher auf die Palme gebracht. Als ob ich - oder
irgendein ein anderer Mensch - nicht etwas erreichen wollte, kein Ziel
verfolgen würde. Meines Erachtens streben alle (geistig gesunden) Menschen
zum Beispiel das Ziel an, glücklich und zufrieden sein. Wie viele von uns
schaffen das?
Ist das Verfehlen eines Zieles (manchmal) Schicksal oder (sets) Schaffsal?
Die Wortschöpfung "Schaffsal" wurde - nach meiner Kenntnis - erstmals in
den "Buddhistischen Monatsblättern" vor 45 Jahren erwähnt und bezieht sich
auf die Auffassung des Buddha Dhamma, dass es kein Schicksal gibt.
Demzufolge schaffen wir unser Glück - oder Unglück - ganz alleine. Anders
gesagt: Wir sind selbst an allem schuld.
Wären nicht alle Menschen glücklich und zufrieden, wenn sie es selbst
schaffen könnten? Wer möchte denn willentlich, mit Absicht, unzufrieden und
unglücklich sein? Wir wollen schon glücklich und zufrieden sein, wir
schaffen es aber nicht; zumindest ist die weit überwiegende Mehrheit der
Menschen meines Erachtens nicht dauerhaft glücklich und zufrieden - ober
hätten wir sonst ständig irgendwo Krieg, wenn alle glücklich und zufrieden
wären?
Ist es Schicksal, oder sind wir für unsere Zeugung, für unsere Eltern, für
unser genetisches Material oder für unseren Geburtsort verantwortlich? Das
ist außerhalb entsprechender Kulturräume, also bei uns, schwer vorstellbar.
Demzufolge sind zum Beispiel unser Erbgut, unser Geburtsort, unsere soziale
und kulturelle Umgebung, ja die ganze Welt, nicht von uns geschaffen. Wir
wurden ohne unser Zutun in bereits Bestehendes hineingeboren, wenn ich das
richtig sehe.
Nach unserer Geburt, für die wird nichts können, hatten wir zunächst
zumindest zu unserer Mutter Kontakt. Sie - und jede beliebige andere Person
- konnte mit uns nach deren Belieben verfahren, wir waren jedem Tun völlig
hilflos ausgeliefert. War es Schicksal, was uns widerfahren ist - oder
nicht?
Wer kein Glück hat, wird - ohne eigenes Zutun - von einer mittellosen
Mutter in einem Land geboren, das - weshalb auch immer - politisch und
wirtschaftlich desaströs ist. Schicksal - oder nicht?
Konnte uns unsere Mama stillen - oder sonst mit Muttermilch versorgen? Wie
intensiv konnte sich unsere Mutter - und unser Vater oder eine weitere
familiäre Bezugsperson - um uns kümmern, und wie lange? Lag es in unserer
Verantwortung, ob wir (schon früh) in Fremdbetreuung gegeben wurden oder
war es Schicksal?
Wer sich mit undogmatischer und nicht-ideologischer,
natur-wissenschaftlicher Literatur beschäftigt hat, oder den "gesunden
Menschenverstand" benutzt und das Verhalten höher entwickelter Säugetiere,
zum Beispiel Affen, etwa Schimpansen oder Bonobos und dergleichen,
studiert, wird unter anderem feststellen, dass Menschenkinder viel, viel
länger zur Entwicklung zu (relativer) Selbständigkeit brauchen, also viel
unreifer und hilfloser zur Welt kommen, viel abhängiger sind, als (andere)
höher entwickelte Primaten. Die Konsequenzen sind meines Erachtens
einleuchtend: Ein neugeborenes Menschenkind benötigt bestmögliche
Betreuung, körperliche Nähe, kontinuierliche Aufmerksamkeit, Schutz und
Fürsorge, wenn es sich - insbesondere psychisch - so gesund wie nur möglich
entwickeln soll. Es liegt nicht in der Verantwortung des Babys, ob es sich
geistig und psychisch gesund entwickelt, es ist nach meiner Überzeugung
Schicksal.
Lag unsere Erziehung in unserer Verantwortung - oder nicht? Waren wir
verantwortlich für den Umgang mit uns im Kindergarten? Hatten wir Einfluß
auf die Lehrkräfte und deren Fähigkeiten oder den Lernstoff und die
pädagogischen und didaktischen Methoden? Wohl kaum. Im Ergebnis hatten wir
keine Wahl, weder bezüglich der Eltern, noch bezüglich unseres gesamten
Umfelds. Da kann von "Schaffsal" - nach meinem Verständnis - keine Rede
sein.
Allerdings haben wir nicht nur die Folgen unserer Erbanlagen, sondern auch
die Konsequenzen des gesamten Handelns der Menschen, die uns und unsere
biologisch (anthropologisch) bedingten Bedürfnisse beachtet haben - oder
nicht - zu tragen. Vorsicht: Es geht hier nicht um Schuld, zumal unsere
Eltern ein vergleichbares Schicksal zu erdulden haben. Böswillige Absicht
sollte man meines Erachtens niemand unterstellen, sie wußten oder konnten
es nicht besser. Allerdings ändert sich nichts an der Tatsache, dass wir
lediglich im Rahmen genetischer Grenzen handeln können und darüber hinaus
fremdbestimmt geprägt wurden. Nur auf dieser Basis können wir agieren und
reagieren - wir können nicht aus "unserer Haut" fahren, beim besten Willen
nicht.
Wie vernünftig ist demzufolge der Satz: "Jetzt bist du erwachsen und kannst
die Schuld nicht auf andere schieben"?
Meines Erachtens geht es nicht um "Schuld", wenn es um die Konsequenzen
einer Handlung geht. Wir handeln auf der Basis unserer Gegebenheiten und
unseren (erworbenen) Überzeugungen sowie den Umständen in der jeweiligen
Situation. Wir tun jeweils unser Bestes. Könnten wir etwas noch besser
machen, als wir es tun, dann täten wir es doch. Wenn wir etwas verbessern
können, dann ist das die Rücksichtnahme auf die biosozialen, natürlichen
Bedürfnisse von Kindern, insbesondere von Neugeborenen, Säuglingen und
Kleinkindern. In keinem Stadium der Entwicklung eines Menschen lohnen sich
Investitionen mehr als in den ersten fünf Lebensjahren, das ist zum
Beispiel durch neurowissenschaftliche Forschung in den letzten fünfzehn
Jahren bewiesen worden (vgl. M. Spitzer, G. Roth, W. Singer u.a.). Die
Politik auf Förderung von Kindern und Müttern auszurichten wäre -
insbesondere auch volkswirtschaftlich - dringend erforderlich und würde zu
enormem Gewinn führen.
Jörg Stimpfig
Danke für Ihren Kommentar
Offenbar ist es mir - zumindest bei Ihnen - nicht gelungen, mich verständlich zu machen.
Das bedauere ich, es tut mir leid.
Es geht mir ja genau darum, dass wir oft nicht für das, was wir tun oder was uns widerfährt verantwortlich sind.
Schon gar nicht sind wir z.B für den Zustand unsers Gesundheitswesens verantwortlich.
Sie machen mir bereits im ersten Satz den Vorwurf, dass ich "das Leben auf zwei Begriffe einenge" - inwiefern tue ich das?
Das verstehe ich nun wiederum nicht 😉