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Der barmherzige Samariter

Wir hören heute ein Evangelium, das auch Kinder leicht verstehen: Darin heißt es: Jeder Mensch ist aufgerufen, dem leidenden Nebenmenschen zu helfen – und zwar mit Händen und Füßen. Darüber möchte ich nachher einiges sagen. Wir dürfen aber ein Wort im Paulusbrief an die Kolosser nicht überhören. Darin sagt Paulus: Christus ist das Haupt des Leibes, der Leib aber ist die Kirche. Damit behauptet Paulus, die Kirche sei der Leib Christi. Und Paulus sagt dies, obwohl auch er schon erfahren hatte, dass keineswegs alle Kirchenmitglieder Heilige waren. Im Gegenteil: Er erfuhr täglich, dass viele Getaufte keineswegs dem Evangelium entsprachen. Es geht also nicht um Moral, sondern vielleicht um Mystik. Kirche als geheimnisvoller Leib Christi. Kirche ist Mysterium.

Aus dem Heiligen Evangelium nach Lukas, Kap. 10, 25 - 37

Damals stand ein Gesetzeslehrer stand, um Jesus auf eine Falle zu stellen, und fragte ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben? Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst. Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben! Der Gesetzeslehrer wollte sich rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster? Darauf antwortete ihm Jesus: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen. Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging vorüber. Ebenso kam auch ein Levit zu der Stelle; er sah ihn und ging vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam zu ihm; er sah ihn und hatte Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Und am nächsten Tag holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme. Wer von diesen dreien meinst du, ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde? Der Gesetzeslehrer antwortete: Der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle du genauso!

Predigt

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen

Bei vielen Texten im neuen Testament liegen vor dem Verstehen Stolpersteine. Man versteht sie nicht auf den ersten Blick. Das ist beim heutigen Text vom barmherzigen Samariter nicht so. Man versteht ihn sofort: Du sollst dem Menschen in großem Elend sofort helfen. Dass ist eine klare Aussage Jesu. Jeder Mensch kann sie sofort verstehen – ob getauft oder ungetauft, ob gläubig oder nicht gläubig.

Und wenn man von dieser Aussage auf die heutige Kirchensituation hinüberwechselt, dann sieht es mit dem Glauben vielleicht doch nicht so schlecht aus. Denn sind nicht Millionen Menschen ohne Kirche sehr hilfsbereit? Sind Kirchgänger hilfsbereiter als Nicht-Kirchgänger? Sind Menschen, die von sich sagen, sie glaubten nicht an Gott, nicht ebenso sozial wie Menschen, die von sich sagen, sie glaubten an Gott?

Soll man also aus dem heutigen Evangelium schlussfolgern: Die Aufregung darüber, dass immer weniger Menschen sich zum Christentum bekennen, ist übertrieben, ja ist vielleicht sogar falsch?

Kann man nicht sogar sagen: Die Sünden von Kirchenleuten behindern das rechte Verhalten, die Nächstenliebe, die Solidarität mit Notleidenden?

Ich glaube, dass das auch wieder eine falsche Vereinfachung wäre.

Man muss meiner Ansicht nach zunächst einmal fragen: Woher kommt das Denken an Solidarität? Woher kommt das Denken an die Hilfe für den Menschen in Not? Ist der Mensch einfach gut, und ist ihm das von Geburt an eingegeben, sich dem Notleidenden zuzuwenden?

Ich denke: Gleichsam von Natur aus fühlt der Mensch sich solidarisch mit dem Familienmitglied, mit den Mitgliedern seines Clans, seiner Gruppe. Die Natur zeigt dem Menschen: ich bin nur sicher, wenn der Clan zusammenhält. Wenn ich Hilfe brauche, bekomme ich sie vom Clan. Aber ich muss auch Hilfe geben innerhalb meiner Familie, meines Clans. Sicherheit gibt es nur, wenn wir als Clan zusammenhalten. Darüber hinaus ist die Solidarität nicht so selbstverständlich.

Seltsamerweise hat sich im Lauf der Geschichte ein Zusammenhalt in einem Volk entwickelt. Unsere Großväter haben noch ihr Leben gewagt, wenn ihr Volk angegriffen wurde. Das erleben wir auch heute in der Ukraine. Es gibt also über den Clan hinaus eine Solidarität in einer kulturellen Gruppe, einem Volk.

Aber leider muss man auch sagen: Es gibt gerade auch auf diesem Hintergrund Feindschaft, Konkurrenz und Streit und Krieg zwischen Clans und Völkern. Und hier setzt nun Jesus ein: Nicht nur deinen Volksgenossen, sollst du lieben, sondern jedem, der in Not ist und der dir begegnet. Da muss der Mensch über seinen Schatten springen. Denken wir daran, dass der Samariter auch Angst haben konnte vor den Räubern, die den Mann am Straßenrand beraubt hatten. Er hätte wie Priester und Levit konnte schnell weitergehen, um nicht selbst zusammengeschlagen zu werden. Also Angst kann die Solidarität verhindern. Und wie überwindet der Mensch die Angst? Hier kommt eben der Glaube an Gott und der Glaube an Jesus Christus ins Spiel. Wir sind nicht von Natur aus mutig und hilfsbereit. Wir sind es nur in begrenztem Maß, in der Natursolidarität mit denen, die auch uns schützen.

Und nun wird Jesus zum Erlöser. Durch seine Solidarität zu uns, hilft er uns, auch solidarisch zu sein. Jesus springt über seinen Schatten, damit auch wir über unseren Schatten springen können. Das ist Erlösung. Und hier fallen mir halt mal wieder moderne Märtyrer ein. Ich nenne einmal den österreichischen Bauern, Franz Jägerstätter. Er hatte erkannt, dass Kriegsdienst unter Hitler amoralisch ist, verweigerte den Kriegsdienst, bis er ermordet wurde. Er half zwar nicht direkt einem von Räubern Ausgeraubten, aber er ist ein Vorbild, der durch Christus den Mut bekam, nein zu sagen, sein Leben zu wagen.

Aber Jägerstätter hatte Jesus durch die Kirche kennen gelernt. Ohne die Verkündigung in der Kirche hätte Jägerstätter vermutlich nichts über Jesus gehört. Er hatte wohl auch die Gemeinschaft derer kennen gelernt, die Jesus suchten. Und er war nicht blind und hat vermutlich auch gemerkt, dass keineswegs alle Kirchenbesucher Heilige waren. Kirche war also relevant. Man kann also nicht so einfach sagen: Hauptsache Solidarität, die Kirche kann man vergessen. Dass Jesus am Kreuz der Befreier ist, erfahre ich nicht nur aus einem historischen Dokument, der Bibel. Ich sollte es erfahren durch die hörende und glaubende Gemeinschaft der Gläubigen. Sie sind die Gruppe, die nach Jesus und dem Vater sucht und fragt. Und von diesem Suchen und Fragen her haben Tausende von Christen die Kraft und den Mut bekommen, den Menschen am Straßenrand zu helfen. Amen

Lesung aus dem Brief an die Kolosser, Kap. 1, 15 - 20

Er ist Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen. Er ist vor aller Schöpfung und in ihm hat alles Bestand. Er ist das Haupt, der Leib aber ist die Kirche. Er ist der Ursprung, der Erstgeborene der Toten; so hat er in allem den Vorrang. Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles auf ihn hin zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut

 

Fürbitten

Herr Jesus Christus, wir bitten dich für die Millionen Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika, die unter Räuber gefallen sind, die vergessen worden sind, an denen viele Reiche vorbeigegangen sind. Öffne uns die Augen und die Herzen und hilf, dass wir angesichts der weltweiten Armut nicht resignieren. Christus höre uns.

Herr Jesus Christus, gib den Vordenkern der Erde deinen heiligen Geist, damit sie der Menschheit lehren, wie internationale Gerechtigkeit und Solidarität geschaffen werden kann. Christus höre uns.

Herr Jesus Christus, segne die Menschen, die jetzt in Urlaub sind. Schenke ihnen die Gnade der inneren und äußeren Ruhe, damit sie zu sich selbst finden, innere Stille erfahren und das Leben später gut meistern können. Christus höre uns.

Herr Jesus Christus, segne auch die Menschen, die an Haus, Zimmer und Bett gefesselt sind, die keinen Urlaub machen können, die sich vergessen und verlassen fühlen. Schenke ihnen tröstende Besuche. Christus höre uns.

 

 

P. Eberhard Gemmingen SJ

Im Einsatz für Glaube und Gerechtigkeit

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