Wer bei euch der Größte sein will, sei aller Diener
Aus dem Heiligen Evangelium nach Markus, Kap.9, 30-37
In jener Zeit zogen Jesus und seine Jünger durch Galiläa. Jesus wollte aber nicht, dass jemand davon erfuhr; denn er belehrte seine Jünger und sagte zu ihnen: Der Menschensohn wird in die Hände von Menschen ausgeliefert und sie werden ihn töten; doch drei Tage nach seinem Tod wird er auferstehen. Aber sie verstanden das Wort nicht, fürchteten sich jedoch, ihn zu fragen. Als er dann im Haus war, fragte er sie: Worüber habt ihr auf dem Weg gesprochen? Sie schwiegen, denn sie hatten auf dem Weg miteinander darüber gesprochen, wer der Größte sei. Da setzte er sich, rief die Zwölf und sagte zu ihnen: Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein. Und er stellte ein Kind in ihre Mitte, nahm es in seine Arme und sagte zu ihnen: Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.
Predigt
Hat die katholische Kirche Jesus eigentlich von Anfang an missverstanden? Denn er wollte offenbar keine Art Über- und Unterordnung in seiner Gemeinschaft. Er wollte scheinbar in seiner Gemeinschaft, dass es kein Oben und Unten gibt. In der Kirche gibt es aber seit Anfang an eine Hierarchie, ein Oben und Unten, Menschen, die oben sitzen und entscheiden und andere Menschen, die gehorchen sollen.
Jesus sagt offenbar auch: Man begegnet Gott, den Vater nicht, wenn man den Vorgesetzten gehorcht, sondern wenn man ein kleines Kind aufnimmt. Wer das kleine Kind aufnimmt, nimmt Gott auf.
Hat die Katholische Kirche also – ohne es zu merken – Jesus doch von Anfang an missverstanden?
Ich denke, wir müssen genau hinschauen und genau hinhören.
Ausgangspunkt der heutigen Perikope ist der Streit der Jünger Jesu, wer von ihnen der Größte sei. Sie haben sich wie kleine Kinder verhalten, die das Tun der Erwachsenen kopieren. Aber worüber mögen sie diskutiert haben. Vielleicht haben darüber diskutiert, ob Petrus oder Johannes Jesus näher steht. Vielleicht haben sie darüber gestritten, wer der Erstberufene sei. Als erster wird im Evangelium Andreas genannt. Vielleicht haben sie darüber gestritten, warum Jesus auf den Berg nur Petrus, Jakobus und Johannes mitgenommen hat und nicht alle zwölf. Kurz: Sie haben sich ganz so verhalten wie wir Menschen uns zu verhalten pflegen. Jeder will ein bisschen im Mittelpunkt stehen, besonders beachten werden.
Vorausgegangen waren aber in unserem Text die Worte Jesu über sein zukünftiges Schicksal, über seine Hinrichtung und die folgende Auferstehung. Vielleicht hat der Evangelist Markus hier ein bisschen Worte Jesu und das Geschehen unter den Aposteln zusammengeschoben. Denn er zeigt: Auf diese dramatischen Worte Jesu über sein Lebensende folgt die kindische Streiterei der Apostel. Die Apostel verhalten sich wie kleine Kinder, haben von dem Lebensdrama Jesu noch nichts verstanden. Und dann kommt die große Aussage Jesu: Wer wirklich groß sein will, stelle sich ganz ans Ende der Karrieristen. Wer Karriere machen will, gehört nicht zu meinem Freundeskreis. Und dazu stellt Jesus ein Kind in die Mitte. Wenn ihr nicht so klein werdet wie dieses Kind, gehört ihr nicht zu mir, dann will ich nichts mit euch zu tun haben.
Und wie steht es also mit der kirchlichen Hierarchie? Ist es ein Missverständnis, dass es in der Kirche ein strukturelles Oben und Unten gibt. Ich denke: Bei Paulus finden wir eine Antwort: Es gibt besondere Berufungen und Aufträge, Berufungen zu Verkündigung und Übernahme von Verantwortung für die Gemeinschaft. Das ist vor allem eine Last. Wer sich danach drängt, nach seiner eigenen Auffassung oben zu sein, ist dumm. Denn es ist eine Last, Verantwortung zu tragen für eine Gemeinschaft. Wer sich nach oben drängt, wer groß sein will, hat Jesus nicht gut verstanden, ist vielleicht ein wenig zu simpel.
Und ein Letztes: Jesus möchte nicht nur, dass jeder einzelne seiner Freunde das versteht, sondern er will in die menschliche Gesellschaft ein neues Denken bringen. Er will nicht nur die persönliche Umkehr, die persönliche Bekehrung, sondern auch eine gesellschaftliche Umkehr. Und ich meine: Wenn man die Kulturgeschichte der Menschheit anschaut, dann kann man schon erkennen, Jesus hat einen Stachel ins Fleisch der Menschheit gesenkt. Jeder der ein wenig selbständig denkt, weiß, dass die wahren Weisen eher unten an der Basis und im stillen Kämmerlein wirken. Daher sind Großmütter und Großväter wichtig, sie sitzen nicht in Parlamenten und auf Lehrstühlen. Sie sitzen dort, wo Kinder sehen, wie man richtig lebt. Von Mutter Teresa in Kalkutta spricht heute noch die halbe Welt, die indische Präsidentin Indira Gandhi kennt kaum noch jemand. Der heilige Benedikt macht heute noch Kulturgeschichte, Kaiser Napoleon ist heute ohne jeden Einfluss. Jesus will umkrempeln. Lassen wir uns umkrempeln? Amen.
Aus dem Buch der Weisheit, Kap. 2, 1a, 12, 17--20
Die Frevler tauschen ihre verkehrten Gedanken aus und sagen: Lasst uns dem Gerechten auflauern! Er ist uns unbequem und steht unserem Tun im Weg. Er wirft uns Vergehen gegen das Gesetz vor und beschuldigt uns des Verrats an unserer Erziehung. Wir wollen sehen, ob seine Worte wahr sind, und prüfen, wie es mit ihm ausgeht. Ist der Gerechte wirklich Sohn Gottes, dann nimmt sich Gott seiner an / und entreißt ihn der Hand seiner Gegner. Durch Erniedrigung und Folter wollen wir ihn prüfen, um seinen Gleichmut kennenzulernen und seine Widerstandskraft auf die Probe zu stellen. Zu einem ehrlosen Tod wollen wir ihn verurteilen; er behauptet ja, es werde ihm Hilfe gewährt.
Fürbitten
Herr Jesus Christus, wir bitten dich für alle, die Verantwortung tragen in der Kirche. Gib ihnen Deinen heiligen Geist, damit sie nicht vergessen, dass sie dienen müssen und nicht herrschen dürfen. Christus höre uns.
Herr Jesus Christus, wir bitten dich auch für alle die Verantwortung tragen in Staat und Gesellschaft. Schenke auch ihnen den Heiligen Geist. Schütze sie vor der Gier nach Macht. Christus höre uns
Herr Jesus Christus, wir bitten dich für die Kinder und Jugendlichen. Schütze sie vor den Verführern, gib ihnen gute Vorbilder. Christus höre uns
Herr Jesus Christus, wir bitten dich für alle Menschen, die in diesem Augenblick mit dem Tode ringen. Schenke ihnen die Gnade des Vertrauens und des Loslassens. Christus höre uns.
Eberhard von Gemmingen |