Maria bewahrte alles, was geschehen war in ihrem Herzen und dachte darüber nach.
Aus dem Heiligen Evangelium nach Lukas, Kap. 2, 16-21
„In jener Zeit eilten die Hirten nach Bethlehem und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag. Als sie es sahen, erzählten sie von dem Wort, das ihnen über dieses Kind gesagt worden war. Und alle, die es hörten, staunten über das, was ihnen von den Hirten erzählt wurde. Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen. Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es ihnen gesagt worden war. Als acht Tage vorüber waren und das Kind beschnitten werden sollte, gab man ihm den Namen Jesus, den der Engel genannt hatte, bevor das Kind im Mutterleib empfangen war.“
Predigt
Die Kirche feiert heute am 1. Januar das Fest der Gottesmutter Maria. Es ist gleichzeitig auch das Fest der Beschneidung Jesu, von der wir im Evangelium gehört haben. Die Entscheidung, heute das Fest der Gottesmutter Maria zu feiern, ist erst im Jahr 1970 getroffen worden, also erst nach der Liturgiereform des 2. Vatikanums. Das Entscheidende am heutigen Fest aber ist meines Erachtens das Wort des Evangeliums: Maria bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach. Maria war also nicht nur gehorsam, sondern auch eine denkende Frau. Sie musste sich mit allem, was geschehen war, innerlich geistig auseinandersetzen. Dieses Bewahren und Nachdenken bezieht sich wohl nicht nur auf das, was die Hirten Maria und Josef vorher erzählt hatten, sondern auf vieles in ihrem Leben vorher.
Wir müssen uns erinnern: Maria hatte die Erscheinung eines Engels. Wir können wohl auch von einer Vision sprechen. Der sagte ihr, dass sie schwanger werden würde, dass sie einen Sohn empfangen würde, er würde groß sein und Sohn des Allerhöchsten genannt werden. Wenn wir diese Worte ernst nehmen, dann können wir verstehen, dass Maria sehr erschrak. Nicht nur, weil sie noch keinen Mann hatte, sondern auch, weil von diesem Sohn so Großes gesagt wurde: Er werde Sohn des Allerhöchsten genannt werden. Und dann kamen auch noch diese Hirten, die von einem Engel sprachen.
Das Entscheidende sind die Worte: Maria bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach.
Mir scheint dies ein Wink mit dem Finger für uns, dass auch wir am Jahreswechsel das, was in unserem Leben geschehen ist, bewahren und darüber nachdenken sollten. Zum Menschsein gehört das Sich-Erinnern, das Bewahren und das Nachdenken. Wer sich nicht erinnert und nicht über sein Leben nachdenkt, tut nicht das, wozu er als Mensch berufen und geschaffen ist. Das Vergessen und das Nicht-Nachdenken ist eine Sünde. Angesagt ist Lernen, Weisewerden. Verboten ist das Vergessen.
Gehen wir nochmal zurück zum Leben Mariens und erinnern wir uns: Maria erschrak. Dies Erschrecken wird wohl nicht nur wenige Minuten gedauert haben. Vermutlich hat sie ein wenig zitternd die Empfängnis eines Sohnes ihrer Mutter gesagt! Josef hatte sie ja heimlich verlassen wollen. Vermutlich hat ihr aber Josef später gesagt, dass er zu ihr stehen werde. Sie sind zusammengezogen. Und dann mussten sie von Nazareth nach Bethlehem wegen der Einschreibung, die der Kaiser verlangte. Und dann kam das Kind. Und sie erinnerte sich an die Worte des Engels: Heiliger Geist wird über dich kommen und du wirst einen Sohn empfangen. Er werde Sohn des Allerhöchsten genannt werden. Maria musste viel nachdenken. Und es ist schon erstaunlich, dass das Evangelium ausdrücklich davon spricht, dass sie alles in ihrem Herzen bewahrte und darüber nachdachte. Im Allgemeinen spricht das Evangelium nicht viel von psychischen Vorgängen, von Vorgängen in der Seele.
Und ich meine, dass dieser Hinweis auf das Nachdenken und Bewahren Mariens für uns moderne Menschen besonders wichtig ist. Denn wir leben in einer Kultur von ständigen Neuigkeiten. Wir werden täglich überflutet von Informationen und Motivationen. Ständig will jemand uns etwas vermitteln und sagen, ständig will eine Einrichtung zu einem Tun veranlassen. Da ist es wichtig, still zu sein, zurückzuschauen. Das im Herzen zu bewahren, was bewahrenswert ist und über das nachzudenken, worüber wir vermutlich länger nachdenken sollten. Und da wir gläubige Menschen sein wollen, sollten wir darüber nachdenken, was Gott uns vielleicht durch dieses oder jenes Erlebnis sagen wollte, was Gott uns nahelegen wollte. Gott spricht durch Zeichen, durch Begebenheiten, durch das, was wir gerne Zufälle nennen. Nehmen wir uns ein Beispiel an der Gottesmutter Maria. Sie hat bewahrt und nachgedacht.
Und ein Letztes: Viele Menschen meinen, religiöses Glauben schließe Denken aus. Sie meinen, der Christ solle glauben und nicht denken, nicht nachfragen. Das ist grundfalsch. Der Glaube fordert das Denken. Auf Latein heißt es „Fides quaerens intellectum“. Zu Deutsch: Der Glaube sucht den Verstand. Wir sollen nicht blind glauben, sondern denkend glauben. Wir dürfen Fragen stellen. Sicher hat auch die Gottesmutter viele Fragen gestellt. Die erste Frage steht ausdrücklich im Evangelium. Maria fragt: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkennen. Der Engel erklärt, heiliger Geist werde über sie kommen. Das bleibt ein Geheimnis. Aber es ist eine Antwort. Der Engel antwortet und ist nicht erbost über ihre Frage. Gehen wir auch in unsren Tagen zur Gottesmutter Maria und tragen ihr unsere Fragen vor. Wenn wir lange vor ihr schweigen, kommt uns vielleicht von ihrem Mund eine Antwort. Maria musste mit Fragen leben, auch wir müssen mit Fragen leben. Aber wir sollen und dürfen die Fragen im Herzen bewahren und bedenken. Amen
Aus dem Brief des Apostels Paulus an die Galater, Kap. 4, 4-7
Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen. Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, den Geist, der ruft: Abba, Vater. Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott.
Fürbitten
Herr Jesus Christus, wir bitten dich heute vor allem für die Mütter. Gib ihnen deinen Segen, schenke ihnen die Kraft, ihre Kinder zu tragen und zu begleiten und alle Einschränkungen auf sich zu nehmen, die mit der Geburt eines Kindes verbunden sind. Christus höre uns.
Herr Jesus Christus, wir bitten dich heute auch für die Väter. Schenke ihnen das Verantwortungsgefühl, dass sie zu ihren Frauen stehen und zu den Kindern, die sie gezeugt haben. Christus höre uns
Herr Jesus Christus, wir bitten dich für die ganzen Familien. Schenke ihnen Zusammenhalt, auch den Großmüttern und Großvätern, allen Verwandten und Freunden. Lass sie Familien gute Gemeinschaften sein. Christus höre uns.
Herr Jesus Christus, wir bitten dich besonders auch für die Kinder, die Vater oder Mutter verloren haben, die ohne Eltern ins Leben hineinwachsen müssen, die einsam und verlassen sind. Christus höre uns.
P. Eberhard Gemmingen SJ
Im Einsatz für Glaube und Gerechtigkeit