Oberpframmern, den 30.10.1990
Ein Beitrag zum Pflichtzölibat!
Lieber, hochwürdigster Heiliger Vater Papst Johannes Paul II,
es tut mir leid, wenn ich Sie am Anfang meines Briefes mit meinem Leben langweile, aber es ist zum besseren Verständnis meines Anliegens notwendig.
Mein Name: Ilse Sixt geb. am 07.10.1936 (Volksschule und ein Jahr Mittelschule), am 05.10.1957 geheiratet, drei Söhne und eine Tochter geboren.
Und nun einiges aus meinem Leben: Ich war 5, meine Schwestern 3 und ½ Jahre alt, als unser Vater im Krieg gefallen ist. Unsere Mutter hat uns ganze Nachmittage eingesperrt und ist ihrem Vergnügen nachgegangen. Es ist für mich zwar heute verständlich, aber als Kind verstand ich es keineswegs. Eingesperrt und allein gelassen, dieses Gefühl grub sich tief in meine Seele ein.
Mit zehn Jahren kam ich zu einer Tante als Mädchen für alles (Kinder – Haus – und Stall). Mein Heimweh war quälend!
Mit 15 Jahren (inzwischen eine Stiefvater bekommen) suchte ich mir per Anzeige eine Stelle als Haus- und Ladenhilfe. Ich fuhr in ein 200 km entferntes Dorf im Gebirge. 9 Wochen lachte ich am Tag und weinte mich nachts in den Schlaf. Meine Arbeitgeber waren ein älteres Ehepaar (kinderlos). Sie hielten mich wie ihren Hund, immer an der Leine (kein Ausgang, somit auch keine Freundin). Von zu Hause kam ganz selten Post. Diese wurde von meinem Arbeitgeber gelesen.
Nach zwei Jahren bekam ich fünf Tage Urlaub. In der Zwischenzeit ist meine Mutter zu einem geschiedenen Mann gezogen. Sie gab mir bei meiner Ankunft zu verstehen, dass ich bei ihr nicht bleiben kann. Schweren Herzens verabschiedete ich mich von ihr und blieb die fünf Tage bei meiner Tante. Ich fühlte mich, wie ein Blatt im Wind, entwurzelt, einsam und allein.
In dieser Situation war ich ein williges Opfer meines Chef´s. Die Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe – nicht nach Sex – auf der einen Seite und die Qualen der Seele, das fast unerträgliche Schamgefühl im Beichtstuhl und die Angst vor einer Schwangerschaft trieben mich fast zum Selbstmord (die andere Seite).
Mit 21 Jahren habe ich geheiratet. Mein Leidensweg war zu Ende! Zu meinem Mann passt folgender Vers: „Ich danke Dir mein Wohl, mein Glück in diesem Leben. Ich war wohl klug, dass ich Dich fand, doch ich fand nicht, Gott hat Dich mir gegeben, so segnet keine andere Hand.“
Gott hat mir ein besonderes Gespür gegeben für „einsame und alleingelassene“ Menschen. Er ließ mich in viele Priesterherzen schauen und manche Träne weinen über deren Zustand.
Können Sie sich einen Priester vorstellen und sich in ihn hineindenken, der ohne Mutter, Schwester oder Haushälterin in einem meist großen Haus alleine ist und seine Abende stumpfsinnig vor dem Fernseher verbringt?
Wer schafft es außerdem als Mann, zu kochen, zu waschen, zu putzen, zusätzlich Tag und Nacht für eventuelle Notfälle zur Verfügung zu stehen, zu beten, zu bitten und aus ganzem Herzen nach einem solchen Tag zu danken? Es ist ein Ding der Unmöglichkeit! Vom zusätzlichen Bürokram ganz zu schweigen.
Bei der Hl. Messe stehen die Priester „ausgelaugt“ am Altar. Der Funke des Hl. Geistes ist in ihnen erloschen. Sie sind in diesem Zustand nicht in der Lage, auch nur ein Fünkchen an die Gläubigen weiterzugeben. Sie sind liebeleere, liebehungrige, arme Menschen. Wer nicht „geliebt“ wird, kann keine Liebe geben!
Der Priester wird von den Wenigen, die noch in die Hl. Messe gehen, als Brunnen angesehen, aus dem sie ein Leben lang schöpfen und dessen Quelle nie versiegt. Sie sehen ihn als Priester und vergessen ihn als Mensch. Sie erwarten von ihm, immer ein strahlendes Lächeln, ein offenes Ohr. Er darf nie zeigen, wenn ihm hundeelend zumute ist.
Bis man sich im Ordinariat „persönlich“ um einen Priester annimmt, ist das Kind meist ins Wasser gefallen. Die kath. Kirche ist eine Kirche der alten Weiber geworden, eine sterbende Kirche. Deshalb wird es höchste Zeit, über den Pflichtzölibat ernstlich und mit Hilfe des Hl. Geistes nachzudenken.
In einer Klostergemeinschaft ist der Pflichtzölibat vorstellbar. Die Priester und Brüder sind einander Halt und Stütze. Sie haben jederzeit die Möglichkeit zu einem Gespräch, das im Leben eines jeden Menschen „lebensnotwendig“ ist.
Was aber macht ein kleiner Landpfarrer? Entweder er nimmt sich eine Freundin und ist dadurch gezwungen am Altar anders zu reden, als zu leben. Er wird gezwungen, zu lügen, oder er ertränkt seine Einsamkeit im Alkohol. In unserer Gemeinde haben wir seit 25 Jahren das beste Beispiel.
1986 stand H. Pf., schwankend am Altar. Ich kenne ihn so gut, dass ich gewusst habe, dieses Mal hat dieser Zustand nichts mit Alkohol zu tun. Zu Hause angekommen, rief ich meinen Hausarzt an. Ich bat ihn eindringlich, er möge sofort zu unserem Pfarrer fahren. Erst weigerte er sich. Ohne den Willen des Patienten kann er keinen Arztbesuch machen. Sie können! „Gott hat keine Hände, wir müssen ihm welche geben und in diesem Falle sind es die Ihren“. Er ist gefahren und hat Herrn Pfarrer vor einem Schlaganfall bewahrt.
Sie haben keine Vorstellung davon, was eine Gemeinde, noch dazu wenn sie ihren Priester liebt und unzählige Male Erbarmen walten lässt, in 25 Jahren mitmacht.
Als vor einem Jahr die Lage unerträglich wurde, habe ich nach reiflichster Überlegung Gott mein Leben angeboten. Ein Dorf ohne Priester ist wie eine Herde ohne Hirten. Mit einem Wort ein armes Dorf!
Durch den Pflichtzölibat wird in der kath. Kirche wesentlich mehr gesündigt, als es ohne diesen unmenschlichen Zwang wäre. Widerstand erzeugt Widerstand und führt immer in Unglück!
Die Priester in den Gemeinden sind, weil sie ihre Aggressionen abbauen müssen z.T. Herrscher und keine Diener am Altar (für mich verständlich).
Mein Sohn Bernhard saß mit fünf Jahren einmal tränenüberströmt im Bett. Er fragte: „Mama was kann ich den tun, damit niemand in die Hölle kommt? Mit zehn Jahren modellierte er einen Kelch aus Ton. Mit zwölf Jahren, er war eifriger Ministrant, hämmerte er ein wunderschönes Kreuz in eine Kupferplatte. Wir schickten ihn in ein kath. Internat. Später frage ich ihn, ob er Priester werden möchte, er antwortete: „Mama, ich habe es mir gut überlegt, aber ich schaffe das Alleinsein nicht.“ Er ist mittlerweile Dr. der Naturwissenschaften. Mein jüngster Sohn Stefan gab mir dieselbe Antwort. Er studiert Physik.
Die Kirche als Männerdomäne lässt ein ganz gewaltiges Potential brach liegen: Die Frauen!
Ich bin keine Emanze und wünsche mir auch keine weiblichen Priester! Den Frauen soll in der kath. Kirche die Möglichkeit gegeben werden, ihre von Gott gegebenen Anlagen einbringen zu können.
Gott hat seinen Sohn eine Mutter geschenkt, also eine Frau, dem Hl. Geist eine Braut, also eine Frau. Maria ist die liebliche Blume, an der sich Gott Vater, Gott Sohn und Gott Hl. Geist erfreuen. Gott hat den Menschen als Mann und Frau erschaffen! Ich bin nicht der Meinung, dass der Pflichtzölibat abgeschafft werden soll. Wer in der Nachfolge Christi so stark und gefestigt ist, soll zölibatär leben. Es gibt ja auch im normalen Leben diese Form.
Wenn aber ein Priester merkt, dass nach Jahren des Alleinseins seine Reserven an Liebe, Güte und Opferbereitschaft aufgebraucht sind, soll er sich freiwillig entscheiden können und wählen zwischen Pflichtzölibat und Ehe. Er wird sich diesen Schritt reiflicher überlegen als ein Mann aus dem Volke. Setzen Sie meinetwegen eine Altersgrenze fest. Ich könnte mir ein Alter von 32 Jahren gut vorstellen. Nach sieben Jahren Priester, hat er schon so viel gesehen, gehört und miterlebt, dass er weiß, worauf er sich bei einer Ehe einlässt.
Es sind nicht die schlechtesten Priester, die aus Sehnsucht nach Frau und Kindern die kath. Kirche verlassen und zum evangelischen Glauben übertreten.
Eine intakte Familie ist das moralische Fundament eines Staates. Auch die Kirche kann ohne dieses Fundament nicht leben. Es muss von Grund auf erneuert werden. Taten sind gefragt – keine Apelle! Die Fesseln der Tradition müssen, wenn nicht gebrochen, so doch gelockert werden! Der Pflichtzölibat wurde von Menschen eingeführt und ist nicht das Werk des Heiligen Geistes.
Lieber, hochwürdigster Heiliger Vater! Befreien Sie die abgefallenen Priester von ihren schweren, seelischen Qualen. Einerseits trieb sie die Sehnsucht nach Liebe zu Frau und Kindern, andererseits schämen sie sich, den heranwachsenden Kindern sagen zu müssen, dass sie einen kath. Priester zum Vater haben. Dabei könnten diese Familien, der Sauerteig sein, durch den die Erde erneuert würde. Es gäbe wieder: „Heilige Familie (n)“.
Der Priestermangel wäre mit einem Handschlag behoben. Deutschland hätte eine große Chance nicht zum modernen, mit Konsum gesättigten Missionsland zu werden.
Die Lockerung des Pflichtzölibats wäre ein nicht auszudenkendes Weihnachtsgeschenk für die ganze katholische und apostolische Kirche.
Ich höre förmlich die Seufzer der Erleichterung der vielen tausenden kath. Priester. Sie dürften ihr Versteckspiel aufgeben und mit „klaren Augen und wahrem Munde“ vor ihre Gemeinde treten. Dasselbe gilt für die Frauen, die an der Seite eines kath. Priesters ihre Liebe, Güte, Kraft, Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft usw. in den Dienst der Kirche und somit in den Dienst Gottes stellen könnten.
Von den Altären würde wieder die „Frohe Botschaft“ verkündet werden. Das „Feuer des Hl. Geistes“ würde sich, wie am ersten Pfingstfest auf die Häupter verteilen und in den Herzen der Christen glühen. Gemeinsam gingen wir mit Christus den Weg des Glaubens heim zum Vater Himmels und der Erde.
Lieber, hochwürdigster Heiliger Vater! Erwecken Sei die zwei „goldenen Schwestern“ zum Leben: „Freiheit – Liebe!“
Die ganze Welt ruft nach Freiheit und Sie haben einen ganz großen Teil durch Gebet, Opfer, Gottvertrauen und eisernen Willen dazu beigetragen.
Sie sind auch der Papst, der die Fesseln seiner Brüder in der katholischen und
Apostolischen Kirche lösen kann und lösen wird.
„Es erfordert oft mehr Mut, seine Ansicht zu ändern, als an ihr festzuhalten.“
F.Hebbel
Ich vertraue auf Ihre Weltoffenheit und grüße Sie in Liebe und Verehrung
Ihre dankbare
Ilse Sixt
Am 12. Juni 1990 hatte ich folgenden Traum:
Jesus war bis auf die Knochen abgemagert. Er konnte weder gehen noch stehen. Ich habe ihn auf meinen Armen liegend, durch die Wüste getragen. Obwohl er kein Körpergewicht hatte, war er schwer. Ich sagte zu ihm: „Ich werde Dich pflegen, bis Du wieder gesund bist.“