Frankfurter Rundschau vom 04.09.2019, Leserbriefseite, Titel: "Lehren aus den Landtagswahlen im Osten"
Duplizität der Ereignisse? Am 1. September 1939 überfiel Adolf Hitlers Wehrmacht Polen und begann damit den mörderischen Zweiten Weltkrieg (1939-45). Und am 1. September 2019 - genau 80 Jahre später - fanden Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen im wiedervereinten Deutschland statt. Für mich persönlich ist das ein Affront und eine beispiellose Geschichtsignoranz, zumal Hermann Göring (NSDAP) vom 11. April 1933 bis zum 23. März 1945 preußischer Ministerpräsident und damit Statthalter Adolf Hitlers auch im heutigen Brandenburg und Sachsen war.
Und nun wird die rechtspopulistische AfD (Alternative für Deutschland) bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen 2019 auch noch als Wahlsieger zweitstärkste Kraft in Brandenburg mit 23,5% und in Sachsen sogar mit sage und schreibe 27,5%. Nur ein Achtungserfolg, weil die etablierten Parteien allesamt - außer den Grünen - politisch versagt haben? Nein, sicher nicht, weil sich Geschichte in Deutschland anscheinend immer wiederholt. So erhielt die NSDAP in der Weimarer Republik bei den Reichtagswahlen vom 14.09.1930 auch schon 18,3%. Bei den Reichstagswahlen vom 06.11.1932 waren es dagegen bereits 37,4%, da sich die etablierten Parteien in zahlreichen kleinen und großen Koalitionen bzw. Minderheitsregierungen total aufgerieben hatten. Damals wollte anfangs auch keiner mit der NSDAP koalieren - bis zu jenem verhängnisvollen 30. Januar 1933.
Warum wählen trotzdem viele Brandenburger und Sachsen AfD? In Brandenburg und Sachsen blicken viele Bürger wegen des Wegfalls der Braunkohleförderung in eine ungewisse Zukunft, warten noch immer auf gleiche Lebens- und Arbeitsverhältnisse wie in Westdeutschland und auf Kohls blühende Landschaften. Der Aufbau Ost ist wegen der Treuhand, der damit verbundenen Massenarbeitslosigkeit und einer verhängnisvollen Wirtschafts-, Finanz- und Flüchtlingspolitik - trotz der friedlichen DDR-Revolution vom 9. November 1989 und der damit errungenen Freiheit - nach 29 Jahren Einheit im Grunde genommen gescheitert.
Der große Stimmenverlust der etablierten ehemaligen Volksparteien CDU und SPD ist somit vollkommen erklärbar. Der Osten Deutschlands ist vielerorts abgehängt und vernächlässigt worden. Nirgendwo in Deutschland ist der demographische Wandel stärker als hier. Während die Alten blieben, so haben unter dem Strich unter Berücksichtigung der Zuzüge vom Westen in den Osten mehr als 1,3 Millionen Menschen seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 Ostdeutschland in Richtung Westdeutschland mangels vorhandener Arbeitsplatzangebote verlassen müssen.
Von Karl Marx stammt der Ausspruch: "Religion ist Opium fürs Volk." Heute gilt in Ostdeutschland dagegen: "Demokratie ist Opium fürs Volk." Warum? Seit dem 3. Oktober 1990 haben die Ostdeutschen als sog. Wechselwähler fast das gesamte etablierte Parteienspektrum gewählt, ohne dass sich wirklich viel Positives für sie verändert hätte. Erst war Ostdeutschland eine Hochburg der PDS und Linken und jetzt anscheinend als letzter Ausweg eine Hochburg der AfD? Frei nach dem Motto: Wenn nichts mehr hilft, dann bleibt mir immer noch das "Braunhemd (oder Blauhemd)". Die Regierungsbildung in Brandenburg und Sachsen wird immens schwierig werden, weil nur noch Dreier-Koalitionen gegen die AfD möglich sind. Weimar lässt schön grüßen!
Roland Klose, Bad Fredeburg
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