Beinahe 70 Jahre muss ich alt werden, um aus der Zeitung zu erfahren, dass die Wehrmacht Leningrad ausgehungert hat.
Dabei habe ich mich ein Leben lang in allen verfügbaren Medien über die Verbrechen Hitler - Deutschlands informiert.
Ich habe das Abitur, habe studiert, habe jeden Tag meines Lebens wenigstens eine Zeitung gelesen, habe täglich Nachrichten gehört oder gesehen - nichts.
So bleibt mir Scham.
Ich schäme mich für die Lehrpläne an den Schulen und Gymnasien, für die Rundfunk- und Fernsehsender, für alle die schweigenden Politiker der letzten 70 Jahre, für die Zeitungen, für die Historiker, für das deutsche Volk.
Ich schäme mich, dass ich nun den unglaublichen Satz schreiben muss, dass der Holocaust, die Gaskammer, das Erschießen und Erhängen, von dem ich bisher glaubte es wäre das Niederste was Menschen anderen antun können, von Leningrad übertroffen wird.
Millionen Menschen nicht nur töten, nein, sie jahrelang zu Tode zu hungern, ist grässlicher als Gaskammer.
Dies dann aber 70 Jahre lang gezielt auf unterster Flamme zu kochen - Die deutsche Sprache hat kein Wort das meinen Abscheu, meinen Ekel beschreibt.
Ich erwarte vom deutschen Parlament, dass es sich zu einer Trauersitzung in St. Petersburg, dem ehemaligen Leningrad versammelt. Dass Gauck sich für uns niederkniet und solange knien bleibt, bis er vor Hunger nicht mehr kann. Statt gesalbte Reden zu halten. Und dass sie dann zurückkommen und sich bei uns, dem deutschen Volk entschuldigen. Dafür, dass sie uns 70 Jahre blöd gehalten haben.
Michael Maresch
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