Wo früher tage- und nächtelang unter Schmerzen Liebesbriefe gedichtet wurden, die dann mit einer Träne oder mit Parfüm verziert, mit einer besonders schönen Briefmarke versehen, im überall vorhandenem Briefkasten landete, dann tagelang im Postuniversum verschollen blieb, bis, eines Tages, ein in die Wade gebissener Postbote im Hausflur mit ihm wedelte und an ihm roch, wird heute, nicht immer, aber immer häufiger, schon mal ein primäres oder sekundäres eigenes Geschlechtsmerkmal abgelichtet und schwupsdiwupps über irgendwelche Wolken oder sonstige Datenverwerter an das Ziel der Begierde gerotzt.
Soll heißen, nicht mehr der zärtliche Unterton, der geschliffene Ausdruck, die überlegte Verantwortung macht die Musik zwischen den Menschen, sondern der schnöde bildliche Eindruck, die Sache an der Tatsache. "O tempora, o mores" könnte man da mit Cicero lamentieren, gäbe es aber schnell auf, weil das sofort falsch übersetzt würde in "andere Zeiten, andere Sitten", was den Verlust der Zwischentöne doch nur bestätigte.
Also beschließt man einen Liebesbrief zu schreiben. Mit Papier und dem Füller der Oma. Und stellt fest, dass man seit 20 Jahren kein rosa Briefpapier mehr hat und dass die Tintenpatrone (die gab es wirklich!) ausgetrocknet ist.
Also doch wieder Facebook und über die NSA und den BND an die bekannte GMX Adresse: "moribundus te salutat, Geliebte(r)." Mit Bild selbstverständlich. Mit Bild von Teilen vom Freund, von der Freundin oder sonstigen Teilen aus dem Internet. Merkt ja keiner.
Michael Maresch
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